Gedichte 1998-2000
Aufmüpfig
Spinnenbeinig hasten
Wolken vorüber,
ziehen Lichter und Schatten
hinter sich her, streben
hin zum letzten grossen
Stelldichein.
Und an den Bäumen bauscht
sich das aufmüpfige Grün
der letzten Sommertage.
Ein bewimpeltes Fest, ein Nest
voller Vögel, die Abschied feiern.
Doch der heutige Tag ist jung, sein Bart
so unecht wie mein Hut.
Den trage ich umsonst.
Die Arbeit kommt vom Tisch,
die Dinge sind erledigt,
die Lecks gestopft,
die Tücher entknotet,
die Hitzeflügel entstaubt,
die Verhäkelungen entwirrt.
Nun ist alles in Ordnung.
Der Pfeil am Wegrand,
in mürbe Rinde geritzt,
ist das Mindeste, was
ich erwarten darf.
Ein gutes Zeichen.
Konservierter Sommer
Am Strand die unruhvollen Wellen
ergeben ein kostbares Blau.
Sie haben Schluckauf. Und zerschellen
am Strumpfband einer Frau.
Ein weisser Dampfer in der Ferne
zählt schläfrig tutend auf drei.
Die Sonnenglocke brütet Wärme
wie das Huhn das Ei.
Mit wulstig aufgerollter Hose
tapst ein Hemdsärmliger voran.
Seine Arme schaukeln lose
und zucken dann und wann.
Den Körper trägt er mit Behagen
ins blauseidene Wasser hinein,
Ärmel, Bauchlatz und den Kragen,
gefleckt von altem Wein.
In Basel
In Basel führt jede Treppe in einen Estrich.
In Basel ist alles ungeheuerlich tot.
In Basel rieselt der Sandstein.
In Basel wird getrommelt auf Teufel komm raus.
In Basel sind die Totenzimmer mit Plüsch ausgeschlagen.
In Basel pfeift man auf den Papst.
In Basel ist die Liebe insgemein geheim.
In Basel trinkt man Rotwein bis zum Umfallen,
aber nie wird gesoffen.
In Basel dreht sich alles um die Fasnacht.
In Basel pflegt man die Melancholie.
In Basel ritzt der Witz.
In Basel heisst man Stähelin oder Burckhardt.
In Basel kauft man Hüte für jede Gelegenheit.
In Basel bekommt man die Syphilis.
In Basel verkleiden sich die Heldentenöre als Käfer.
In Basel fährt der Fährimaa zur Toteninsel.
In Basel schärft man Auge, Ohr und Zunge.
In Basel hat Faust sein Doktorat gemacht.
In Basel fällt man tot von der Parkbank.
In Basel praktiziert man Anatomie.
In Basel regnet es grau.
In Basel steht man meistens früh auf.
In Basel gibt es elftausend Jungfrauen.
In Basel gibt es mehr Mumien als in Ägypten.
In Basel trinkt man aus Kamelhaar-Tassen.
In Basel ist jeder Kaminsims ein Museum.
In Basel träumen die Maler von Frankreich.
In Basel sind Glockenzüge verpönt.
In Basel geht man auf Taubenfüssen.
In Basel bewacht ein Heiliger die Brücke.
Der lachende König
In die blaue Sprache der Vögel
übersetze ich den Fahrplan,
das Wochenendwetter,
das Winken der Signalkellen
und das ewige Gesetz, das
den Stein anstösst.
Denn ich bin der König.
Was ich will, ist unklar,
aber ich will es unbedingt.
Und der König dankt ab
mit einem Gelächter, das
die Krücken und Schlösser
zerschlägt.
Nicht unangenehm überrascht
nimmt man das weitherum
zur Kenntnis.
Kleines Mondlied
der Mond ist gekommen
die Nacht zu besonnen
gestohlenes Licht
die Dachziegelschräge
und alle die Wege
ich kenne sie nicht
ach um die Gedanken
des Wachseins sich ranket
welkendes Laub
die Eule im Fluge
verkauft wieder Schuhe
die Mäuse sind taub
nun bin ich verbündet
mit dem der sich ründet
dem tupfweissen Mond
und hör das Gewimmer
im Fliegendreck-Zimmer
drin niemand mehr wohnt
und werd ich nicht Zeuge
wie das Gestäude
zum Fenster sich hebt -
- aufwärts sich fingert
ins Fliegendreck-Zimmer
und Totes belebt?
Der Affe und ich
An mein Fenster kam ein Affe.
Ich liess ihn herein,
vielleicht aus Mitleid
mit der sprachlosen Kreatur.
Ich bin ja kein Unmensch.
Der Affe schaute mich an.
Sein Gesicht war fussmüd,
alt wie ein Wanderstock,
knotig und schwärzlich
vom vielen Gebrauch.
Die Begrüssung
war sehr unkompliziert.
Wir bohrten uns gegenseitig
in der Nase.
Bald schon bereute ich,
was ich getan, wollte
ihn loshaben. Verjagen.
Er war mir zu nah.
Fort mit dir, sch, sch.
Was hab ich mit dir zu sch-affen?
Meine Abweisung liess ihn kalt.
Sie entwaffnete ihn nicht.
Er rückte mir auf den Pelz,
den ich seiner Meinung nach
vermissen liess.
Er sprach von Hegel und Kant.
Er kannte meine Telefonnummer,
meinen Kontostand,
und nicht genug damit,
er hatte eine Maske, die
er sich aufsetzte, um Erfahrungen
als Mensch zu sammeln.
Diese Maske, na ja,
war mir wie aus dem Gesicht
geschnitten.
Hie und da ein Blick
über die Schulter, als ob
da ein Jäger käme,
ein Affenfänger.
Wir flüsterten nur noch,
verschworen uns gegen
den Rest der Welt.
Schliesslich wurden wir Freunde.
Aber das ist eine Bananität.
Sonntagsetüde
Aus vollem Teller ess' ich mich satt.
Nach dem Wein dann ein bisschen Tratsch
und zum Nachtisch ein weiches Gedicht.
Köpfe, rot wie Rettich, tummeln sich
im Garten. Schuhe scharren im Kies.
Für die Kinder gibt's Gries.
Nebenbei
Geistreich zu schweigen ist manchmal schwieriger als geistreich zu reden.
Die eitlen Bäume rücken sich ins Licht.
Die Sonne spielt in C-Dur.
Am Feuerwehrball brach plötzlich ein Feuer aus. Die Abendtoiletten standen in Flammen.
Eine Katze schläft in der Wäschetrommel.
Aufgehängte Wäsche flattert. Will sie uns etwas mitteilen?
Beim Lesen gerät man in Schwingung. Das Lesen zerstört das Lesen.
Gestern bin ich einem Geist begegnet. Aber nein, Geister gibt es doch gar nicht. Vermutlich ist es eine schwebende Parkuhr gewesen.
Sie trägt eine Magnolie im Haar, denkt sich Liebesstrategien aus. Sie ist sehr hübsch. Eines Tages erhält sie Besuch vom Prinzen persönlich. Seine Kutsche fährt vor, schnaubende Rösser. Doch sie stemmt sich wütend gegen die Tür. Man hat ihre Pläne vereitelt.
Wenn man in Zwillingsschwestern verliebt ist, ist die Richtige jeweils die andere.
Wenn man so dasitzt, reiht man sich unter die Steine ein. Man wird geologisch interessant.
Ich fühle etwas in mir. Aber vielleicht ist es nur das Wetter.
Ist, wer rückwärts flucht, schon ein Heiliger?
Einer springt an Heiligabend durchs Dorf und schreit: „Eilig, heilig! Eilig, heilig!“
Wozu hat man Augen im Kopf? fragte der Maulwurf.
Ich freue mich jeden Morgen, weil ich nicht ausschlafen muss.
Traumberufe
Der Jäger schiesst auf Spatzen,
bis sie platzen.
Der Bäcker walzt den Blätterteig
auf der Strassenkreuzung breit.
Der Lehrling von der Bücherei
hat alle Tage frei.
Der Pfarrer wirft die Bibel fort,
siebzehn Meter, Weltrekord!
Der Lehrer hält die Lektion
niemals ohne Megaphon.
Der Künstler stänkert, kifft und säuft,
wenn‘s mit der Kunst mal nicht so läuft.
Der Bettler gibt ein Festbankett,
er ist schon ziemlich fett.
In der Gummizelle sitzt der Architekt,
der dieselbe ausgeheckt.
Der Koch macht grüne Grütze,
drin brutzelt seine Mütze.
Der Pöstler geht von Haus zu Haus.
Er kennt sich aus.
Der Reporter macht ein Interview
mit der preisgekrönten Kuh.
Der Arzt setzt an sein Stethoskop,
Geschwüre sind sein täglich Brot.
Der Maestro oder Dirigent
mit Mozart um die Wette rennt.
Die Hure vögelt stundenlang
mit dem Josi, der‘s nicht kann.
Der Forscher bastelt eine Fliege.
Halb ist es eine Ziege.
Der Dichter schmiedet Reime,
den Wörtern macht er Beine.
Dich Dung
Dich Dung,
dich meine ich,
wenn ich mir die Nase zuhalte.
Von Fall zu Fall stinkst
du ganz entsetzlich
und aus vollen Rohren,
stinkst so furchentief
nach fürchterlichsten Fürzen,
so nach Darmwindmief,
dass man dich fortwünscht
nach Kackalukackien.
Man kann dich nicht riechen
und riecht dich doch.
Mir dir ist nicht Staat zu machen,
mit dir nicht,
aber Salat,
das schon.
Mir dir Dung,
mir dir wird gedüngt
auf Linien ums Eck im Quadrat,
mit und ohne Reim und
manchmal holpernd
auf Furchen und auf Wellen
von hier bis Wallisellen.
Damit wäre schon alles gesagt,
sprösse aus dir Dung, aus dir
im Sommer nicht das Getreide
und natürlich der Salat
und so manche Blume
und ohne Gestank.
Der Baum
Es ist ein Baum,
ein sehr krummer Baum.
Ein sehr grosser Baum.
Er hat mehr als tausend Äste.
An denen ist etwas dran, ja,
sehr viel Blattwerk....
Der guten Form halber
müssten sie ihn zurechtschneiden,
eine Stange an seinen Rücken binden,
die Baumpfleger mit eidgenössischem
Fachausweis. Die kennen sich damit aus!
So denken wohl die meisten.
Ich nicht, nein, ich bin fürs Ungerade,
lasse fünf gerade sein.
Der Baum ist wunderschön,
ob krumm oder nicht,
ob unförmig oder nicht,
kann man so stehen lassen.
Eine lebendige Skulptur.
Wind und Regen haben ihr
den letzten Schliff gegeben.
Nach kaum hundert Jahren
ist es vollbracht. Jede Korrektur
käme zu spät, und das ist gut.
Was schon krumm ist, kann
nur noch krummer werden.
Und das Grosse kann nichts
dafür, dass es einen grossen
Schatten wirft.
Der Baum hat seine Zeiten.
Im Winter hüllt er sich in Schweigen.
Im Frühling, Sommer und Herbst
murmelt er unentwegt
vor sich hin - vor sich hin.
In seiner eigenen Sprache.
Ich verstehe kein Wort.
Nur den Vogel verstehe ich,
der sich mit einem brennend
roten Kehlchen brüstet.
Durch das Blättergehusche
kommt immer ein bisschen Licht durch.
Und was höre ich da?
Ein geschütteltes Gelächter!
Das Megatherium
Fünf Uhr abends
im Naturhistorischen Museum.
Die letzten Besucher sind fort,
und der Wärter, schwer
und schmerbäuchig, dreht
die letzte Runde, rasselt
mit dem Schlüsselbund.
Endlich Feierabend.
Dem Riesenfaultier
sagt er noch gute Nacht,
denn Nacht soll es werden
über Gottes Geschöpfen.
Nacht wird's im Saal,
wo diese Geschöpfe
sich zur Glasdecke strecken,
als gähnten sie.
Dem Riesenfaultier,
auch Megatherium genannt,
pinselt das Mondlicht eine
künstliche Haut.
Man hat es ausgegraben,
nicht totgejagt.
Es war schon ausgestorben,
als man es fand.
Seine Klauen sind stumpf,
töten konnte es nicht,
aber fressen, vor allem Gras,
und sich vorwärtswühlen
wie ein Bagger.
In der Evolution war es
eher mittelmässig,
Trittbrettfahrer, salopp gesagt.
Keine besondere Leistung.
Wie ein stimmloser Chorist, der
nur deshalb im Chor mitmacht,
weil er dort ein gutes Versteck hat.
Im Wald, hinter Urzeitbäumen,
hat es sich sein Nest gebaut,
klamm und heimlich,
und Gras gefressen. Sehr viel Gras.
Als Riesengerippe überdauert
es nun sein Fleisch.
Auf seinem Podest steht es
zwecks Körperdemonstration
auf den Hinterbeinen.
Es muss sich anstrengen,
fünf Tage die Woche
Belehrung spenden,
Staunen erwecken,
für all diejenigen dasein,
die es sich lebendig wünschen.
Die Wiederauferstehung
bleibt ihm gottlob erspart.
Es würde sich schämen.
Hasenlied
Ich summe mir ein Hasenlied
beim Gehen über Land.
Der Tag ist lang und doch ein Sieb,
denn nichts hat lang Bestand.
Es taget im gezausten Wald,
die Eulen schlafen ein,
ein Specht sich an sein Bäumchen krallt
und klopft. Ich sag: Herein!
Die Sonne schluckt die Sorgenlast
und jeden kalten Stern,
und wenn ich sage Mittagsrast,
so sag ich's liebend gern.
Auch stehen soll man ab und zu
und gehen ungehemmt,
denn schöner noch als Rast und Ruh
sind Beine, die es brennt.
Die Mühle rattert traulich fort,
es klippt und klappt das Rad
und mir das Knie und hier das Wort,
so geht's von früh bis spat.
Gehege, Felder, Weg und Steg
und tannengrüne Nacht
beschützen den, der vorwärtsgeht
und manchmal Sprünge macht.
Ich habe mir kein Ziel gesteckt,
der Weg hat nur sich selbst,
das Glück gottlob ist nicht weit weg,
und wenn's nicht steigt, so fällt's.
Beweglich springt der Wiesenbach
durch Blumen mir voraus,
es hält mich nicht, ich lauf ihm nach
und schnaufe mächtig aus.
Ich summe mir ein Hasenlied
beim Gehen über Land,
und was daraus sich noch ergibt,
ist keinem hier bekannt...
Wintergarten
Wintergarten, ein Würfel aus Glas,
betuliche Blumen und Stühle.
Auf den Lippen wächst mir Gras,
das begrünt mir die Gefühle.
Das Wetter ist leicht indisponiert,
doch hier drinnen, was soll's.
An Natur bin ich nicht interessiert,
mir genügt ein Tischchen aus Holz.
Wintergarten, ein Würfel aus Nichts,
Pavillon und Raumschiff in einem.
Im Rechaudkerzen-Licht
radschlagen die stolzesten Pfauen.
Ich spreche mit einer bärtigen Dame
und nippe an Meissener Porzellan.
Schon schmilzt das Häubchen Sahne
hinweg wie Eis im Ozean.
Für K. (ein Liebesgedicht)
Sie schielte durch die Brille noch
Vorbei am Singular
Und stopfte sich das Kragenloch
Mit ihrem falschen Haar.
Mit allen Kräften suchten wir
In pollenvollen Wiesen,
In Blumen und in Heugewirr
Ein Kitzeln und ein Niesen.
Mein Eifelturm
Du bist mein Eifelturm,
gehäkelt aus Präziosen,
aus stählernen Fäden,
die so gut vernietet sind,
dass ein leises Sichbiegen,
eine zärtliche Neigung
gerade noch drinliegt.
Du bist mein Eifelturm.
Dein rankes, schlankes
Schwanken, an Wolken
vertäut und biegsam
bis in die Zehenspitzen,
und die Grätsche zweier
Füsse in Taubenandacht.
Auf nach Paris!
Zum Klinglang der Boulevards!
Wo der Tauber die Taube
beturtelt, bis sie ihm glaubt,
und das Glühen einer
Leselampen und ein
verschwiegenes Buch
Schätze sind, die man
im Tresor bewahrt.
Wo man den Gendarmen,
damit sie einen laufen lassen,
Gedichte aufsagen muss
von Verlaine.
Du aber, ma Belle, wohnst am Rhein,
sehr ruhig und prosaisch.
Deine Zigaretten,
zerkäut wie deine Finger,
ersetzen dir die Sterne
des nächtlichen Paris.
Vielleicht bist du zu schlicht,
und deine Schlichtheit tritt zurück
vor der Allmacht der Buchstaben,
die du eilig in dich aufnimmst,
in der Pause zwischen zehn und elf.
Maulwurfsemsig, ganz von unten her,
betreibe ich deine Heiligsprechung,
pflastere sie mit Beweisen.
Klage
Mein Mund ist trocken,
meine Zunge eine Schuhlasche.
Die Wörter sind mir
ausgefallen wie faule Zähne.
Abgenutzt und stumpf, was
Gesang hätte sein sollen.
Was will ich noch?
Wider Gott und Weh
hab ich gesungen
mit vielem Beschwer:
liegt darin ein Sinn
zum Weitersagen?
Ein Herz allein muss traurig sein,
hat zum Tanzen nur ein Bein.
Ein Herz so klein,
kann die Welt nicht fassen.
Mein Anger steht brach,
wonach?
Die Hoffnung, ach.
Kirschkerne
Unter den Schuhen spritzt es auf.
Keine Pfütze zu flach,
als dass sie's nicht könnte.
Jeder Garten ein Katzenurinal,
und dort, im Rinnstein,
ein zermantschtes Papier,
die Buchstaben herausgewaschen,
aber noch sichtbar in Fäden
zerfliessender Tränenschminke:
die Juli-Ausgabe.
Zwecklos die geballte Faust.
Gott ist beschäftigt. Er melkt die Wolken,
gibt ihnen Kosenamen: Ursel oder Pipa.
Sein Filzmantel riecht nach Hund.
Nach Sauerkraut. Vergesslicher Gott.
Er hat uns Kirschkerne gemacht,
aber keine Kirschen.
Die Weltkarte
Der flirrend grüne Tag,
durch den ich gewandert war,
hatte seinen Schwung verbraucht.
Blieb stehen wie ein Rad.
Der Abend kam, und nichts
Bekanntes weit und breit.
Endlich ein Dorf,
zwei, drei Häuser,
und ein Gehöft
mit Mist vor den Ställen
und Zwiebelketten
an wuchtigen Balken.
Dächer wie Ziegenbärte,
und hinter scharnierlosen Türen
Hühnergegacker und
Miauen von Katzen,
die im Dämmer schon
grau wurden.
Ins Abseits geraten.
Jede Orientierung dahin. Ich sah's ein.
Und durchwühlte den Rucksack, faltete
die Handorgelkarte hoffnungsvoll
auseinander. O Schreck!
Die ganze Welt auf
einer Karte, mit allem drauf,
und doch so nutzlos.
So nutzlos!
Gewitter
Amsel im Baum,
Sonne sticht.
Mittag trödelt
in Staub und Licht.
Amsel hüpft
zum Weizenfeld.
Ein Wölklein hat
sich eingestellt.
Amsel hüpft
zum Wegerich.
Die nahende Wolke
begreift sie nicht.
Amsel pfeift
den Himmel aus,
schon tröpfelt's zag
auf Feld und Haus.
Amsel pfeift.
Wolke zerbricht.
Mittag zeigt
sein wahres Gesicht.
Amsel, wo?
Regen drischt
mit Donner und Blitz,
bis alles, alles
ausgewischt.
Das Papierschiff
Es gibt immer neue Arten,
Sehnsucht zu spielen.
Zum Beispiel falte ich ein Papierschiff
und lasse es zu Wasser.
Die Taufe vollziehe ich
mit einem Tröpfchen Spucke.
Ein getauftes Kind
darf man ins Leben entlassen.
Ich hoffe, es hält sich, dieses Kind,
und fängt beim Auslaufen
etwas Wind ein,
eine Prise oder zwei.
Ich habe es selber gemacht,
aus Altpapier, Seemannsgarn
und der Liebe eines Bastlers,
der seinen Keller bewohnt.
Was dazu bestimmt ist,
ins Licht zu segeln,
entsteht im Dunkeln
und kriecht dann aus
seiner Verlarvung.
Es kann warten,
bis seine Zeit kommt.
Ich habe Knöpfe angeleimt,
das sind die Bullaugen,
und ein kleines Segel gesetzt,
ein Sonnensegel.
Erstbegehung
Als Astronaut Armstrong
seinen klobigen Fuss
auf den Mond setzte
und seine Stimme
durch das drahtlose Knacken
unendlicher Räume
hindurchwaberte und
bekanntgab, dies
sei ein kleiner Schritt
und so weiter,
da jubelte die ganze Welt.
Doch warum?
Als ich vorgestern,
etwas abseits vom Weg,
eine sperrige Wurzel knickte,
sprach alles dafür, dass ich
der erste Mensch war, der
diesen Ort betrat.
Der Harmlose
In seinen Almosentopf tröpfelt
das Lächeln der Leute,
die nichts dabei finden,
ihm zuzuhören.
Ein nachsichtiges Lächeln,
das ist die Quittung,
kein Schimpfen, kein Kritteln.
Er spricht sich ungestraft aus,
geht durch Gehörgänge,
ohne irgendwo anzustossen.
Niemand entzieht ihm das Wort,
dem Hausierer ohne Ware.
Was er anzubieten hat,
sind Worte der geläufigen Art.
Man hält ihn für harmlos, für apart.
Daher steht es ihm frei, die Dinge
beim Namen zu nennen.
Man hört ihm zu.
Mittag im Juli
Flamme des Mittags
geistert im Korn, ein
blinkendes Messer.
Schau dich nicht um!
Die getuschten Schatten
vibrieren.
Das Machbare
Die da vom Förderband gehen,
bewegen sich in aufrechten
Kolonnen auf die Stadt zu.
Unsere Büros haben wir geräumt,
denn sie lösen uns ab.
Mancherorts sitzen sie schon
auf unsern Stühlen, schreiben,
rechnen, planen, kaufen.
Wo unsere Geschäftigkeit aufhört,
die Leistungskurve einbricht,
weil wir uns ausklinken, weil wir
Hunger oder Durst haben oder
einfach nur schlechte Laune,
springen sie ein und arbeiten
an der Vervollkommnung von Details.
Sie machen das Machbare.
Die Witwe
Durch den Boden einer Vase
aus schummerigem altem Glas
späht sie hinauf zu den Wolken,
zu den bauschigen Häusern
im weltallweiten Blau.
Doch wozu?
Sie holt sich einen Kreis heran.
Drin wacklig vergrössert
ein Mann.
Typischerweise trägt er seinen
Pullover verkehrtherum. Und
sein Gesicht ist stumm.
Am Abend
stellt sie ihm den Teller hin, die Tasse.
Sie schöpft ihm reichlich Suppe.
Verschränkt die Hände im Schoss.
Und lächelt.
Weil es in der Vase wieder blüht.
Morgenpastorale
In einer Ritze des Himmels
hat die Sonne ihre Hand.
Sie büschelt die Wolken.
Sie pflückt den Tau und
schüttet ihn wie Speichel
aufs ländliche Land.
Viel Milch gibt die Kuh,
wenn sie geduscht.
Indes die Frühe,
ein Melkengel vielleicht,
den Laufpass bekommt
und mit wehendem Kittel
davoneilt.
Ratschläge
Die Fehler der Frauen
sind immerhin hübsch
und deshalb verzeihlich.
Nimm sie nicht tragisch, die Frauen,
sie sind es nicht. Tun höchstens so.
Ist aber nicht viel dabei.
Benutze den Strang, den
eine so fingerfein geknüpft,
um dich zu halten in Eselshaft,
als Lasso
und wirf ihn aus
nach dem nächstbesten Lächeln.
Die oder jene oder welche auch immer;
schlimmer wird es nimmer.
Misstraue seinem Sang, du Schöne,
er ist ein Dichter. Er zückt die Zunge
und sticht sie dir ins Herz.
Willst du ein Schmetterling sein,
von Dichterworten gespiesst?
Nein, du Schöne, nie und nein.
Er belügt dich ja nur.
Morgen ist er über alle Berge
und singt andere Töne.
Hans Luginsland
Obwohl ihm der letzte
vorwärtseilende Schritt
noch im Wadenbein zittert,
ist er keiner Bewegung mehr fähig.
Himmelhagelstill,
seit Jahr und Tag erstarrt,
Hans Luginsland am Wegesrand.
Seine Augen,
der Hutkrempe entfliehend,
sind eins mit Vogelflug, mit
spielenden Weiten.
Auf seinem Hut plustert sich eine Taube.
Und jährlich einmal kommt eine Hummel,
seine Nase zu putzen.
Warum er nicht weitergeht?
Einer Kleinigkeit wegen.
Bestimmt nicht unseretwegen.
Wir gehn an ihm vorüber
ins Dorthinaus, ins Weite.
An seinem Schatten, der sich dreht,
sehn wir,
wo die Sonne steht.
Unschuldsmine
Ihr hinter das Gesicht zu kommen,
ist ein Vorhaben, das uns gleichsam
ein wenig einwickelt, einwindelt:
was zum Teufel finden wir daran?
Ihr Gesicht mag schön sein und klug,
doch hat sie's spöttisch vermimt,
um das Böse fernzuhalten,
es womöglich auszuschalten.
Nur so kann sie ihm verwehren,
sich ihr zu nähern. Ist das gut?
Wenn dann
(oh dann!)
der schwarze Mann
an ihre veilchenblaue Türe klopft,
wird sie ihm auftun und flüstern:
"Mein Lieber, schau doch mal
in den Spiegel. Beileibe nicht alles,
was zwei Backen hat, ist ein Gesicht."
Tagasyl
In mir gärt es,
ein winziges Versprechen.
April April
In mir verkettet sich,
was nicht zusammengehört,
sodass ich es um den Hals
tragen muss.
April April
Ich stopfe meine Pfeife mit Blattspinat.
Ich bin ein Landpirat.
April April
Der Wald hallt wider von meinen
Vergnügungen, meinen Klopfzeichen.
Ich entäste mein Rätsel.
April April
Meine Wege und Ziele sind die der Engel,
der Zikaden.
April April
Ich betrüge mich mit fast jeder Frau,
die mir treu ist.
April April
Ich stelle Ordnung her, sonst gibt's kein Essen
und die Teller bleiben leer.
April April
Ich bin mit Sankt Antonius verwandt. An den
Zähnen klebt mir Wüstensand.
April April
Es verflüssigt sich die Zeit. Mensch sei bereit.
April April
Der Tod hat eine Sense, eine Schrumpfhand.
April April
Der Wurm springt aus dem Apfelgehäuse,
schreit dreimal Kuckuck und wird vom
Vogel gefressen.
O mein trostloses Tagasyl, von winzigen Hündchen umbellt.
Lostage
Ich hauche den Spiegel an.
Ich fische im Trüben.
Ich miste mich aus.
Ich baue ein Haus.
Vorhang zu.
Wo sind die Fäustlinge,
die Ofenscheiter?
Es wird kälter.
Die blauglühende Lampe
verwandelt den Vorhang
in eine Vorahnung von Schnee.
Zeit für den Tee,
ich schlürfe diese Wärme
und gähne.
Das hat Zeit
Nicht das Leben verwetten.
Denk vor allem
an die Sorgfaltspflicht!
Retten, was zu retten ist.
Die Stunde achten und
den Zuwachs an Fingernägeln.
Es ist da, das dreissigste Jahr,
nur eine Haarspalte,
die sich aber stetig vergrössert.
Was einst Wind war,
ist nun Gegenwind.
Was einst Haare gelassen,
weitet sich zur Glatze.
So ist es mit dem Älterwerden.
Memento mori?
Nein, nirgends steht
geschrieben, dass du
den Löffel abgeben und
in die Wiege dich legen
musst. Noch liegt dort
nur deine Vergangenheit.
Arabisches Zahlenspiel
Beim Zahlenspiel zog
ich zu viel ab.
Ich hatte mich verrechnet,
das Rechenbrett hielt
mir meine Dummheit vor.
Infolgedessen umarmte
ich die Null,
das nette Nichts,
den arabischen Engel,
Retter in der Not,
der, wenn die Enge
beklemmend wird,
sein gefiedertes L
anfügt.
Seewen
Seewen
musst du gesehen haben:
die Häuser handbemalt,
die Dächer wie gedrechselt,
und in den Gärten brennen die Nesseln.
Aus Vogelkot machen die Bauern
eine Tugend.
Am Weiher kann man winters
das Eis studieren und den
festgefrorenen Reiher.
Oft war ich dort.
Auf einem abseitigen Weglein
umarmte mich ein Hund.
Er leckte mich gesund,
und die Bauersfrau flösste
mir Suppe ein. Zwiebelsuppe.
Ich hatte eine Verkühlung.
Aber mein Gewissen war rein.
Das muss ich festhalten.
Ich kann dir Seewen
wirklich nur empfehlen,
wenn du kein Mörder bist.
Dornacher Schloss
Bei einem Picknick auf der Wiese
haben sie gemordet und geschlachtet
wie die Wilden. Blut floss zu Tal.
So ging das damals. Doch die Zeit
heilt Wunden, macht sie wieder zu,
und am Schlosshang rupfen
die Kühe den sonnengeröteten
Klee. Es ist unschuldig, das Vieh.
Die Ritter sind fort,
sind mausetot.
Und unten lärmt die Industrie.
Allschwiler Wald
Schlaflos geht dort
einer Schritt für Schritt.
Die Flöte quer zum Mund,
zu dieser Stund‘, was
soll das denn?
Eine Schöngeisterei,
die eines Harlekins
vom Mond?
Der Kopf hängt ihm schief
über dem Piccolo, und
die Triller zerklirren wie
Untertassen aus Klang.
Da senkt sich hernieder
eine Wärme, die keine ist,
sondern nur die Hoffnung
der Schrebergärten auf
weniger Schnee.
Vom Druck der Gräser
springt die Frosthaut
entzwei, die brüchige
Erde. Aller guten Dinge
sind drei, sind Frühling.
Dazu ein Hundegebell,
durch fahle Äste
gefädelt, und ein Rascheln,
vielleicht Trommelgewirbel,
vielleicht ein Fuchs, der
die Schönschriftfeder bringt.
Landskron
Auf dem Turm knattert
die Fahne auf Französisch.
Ein Accent aigu, der mit dem
Wind spielt, den Wolken
über dem Elsass.
Auf den Dächern und Zinnen
turnen ein paar Affen herum,
die Backen voll Erdnüsse.
Es grüssen die Wasserspeier
von Notre Dame, es blinkt die Seine.
Ein Schritt, und man wäre drüben.
Hätte eine andere Luft.
Rot und Grün
Deine Haare sind in Flammen
Doch dein Zimmer friert
Darum also hast du's
Mit Sommer tapeziert
Was lockt zu dir den Vogel
Aus dem Zauberhut
Welch sonderbare Wandlung
Von Mut zu Übermut
Brot in deinen Händen
Spieglein an der Wand
Stetig rinnt und rieselt
Der feine feine Sand
Du und ich auf Erden
O ungereimte Zwei
Aus ihr wächst Blätterfülle
Grünes Einerlei
So stell ich denn die Leiter
An den hohen Baum
Der so wirr gepunktet
Mit Sommersprossen braun
Und steige in die Höhe
Zu dir hinauf ins Grün
Ach wenn das doch gelänge
Ganz ohne Traumkalkül
Und steh mit beiden Beinen
Im Himmel wo es zieht
Und koste deine Früchte
Wie ein Apfeldieb
Die Liebe lässt die Diebe
In den Garten ein
Doch Diebe wollen stehlen
Nicht gestohlen sein
***
Wirklich schwer zu sagen
Wer hier wen begehrt
Die Spange deine Haare
Oder umgekehrt
Nun lass dein Haar herunter
Rapunzel mach es los
Dein Turm hat keine Stiege
Nur Balken Zinnen Moos