Kurzfilmentwürfe 

 

 

Drehskizzen und Exposés nicht realisierter Filmprojekte

 

 

 

Das Labyrinth

 

Ein Labrynth aus etwa kniehoch aufeinandergeschichteten Steinen auf einer Waldlichtung. Zwischen den Steinreihen irrt ein Mann umher: mal in diese Richtung, mal in jene. Er wirkt sehr unschlüssig. Sein Tun ist unverständlich und doch auch logisch. Er könnte schummeln. Er könnte über die niedrigen Natursteinmauern hinwegsteigen, bis er ganz draussen wäre. So entkäme er dem Labyrinth mit Leichtigkeit. Doch welchen Sinn hätte das? Er hält sich an die Regel, die jedem einleuchtet, der schon mal ein solches Labyrinth ausprobiert hat. Suchend und immer wieder umkehrend bleibt er auf den Pfaden, die zwischen den Mauern ausgespart sind. Er hat eine Karte bei sich, die den Grundriss des Labyrinths wiedergibt. Hin und wieder bleibt er stehen, um die Karte zu betrachten. Nach einer Weile - die Sucherei darf eine gewisse Monotonie hervorrufen- taucht in der Mitte des Labyrinths eine Gestalt mit Stiermaske auf: der MINOTAURUS. Dieser ist ganz plötzlich da, wie aus dem Boden herausgestiegen. Er gibt dem Mann ein Todeszeichen, deutet mit der Hand einen Schnitt durch die Kehle an. Dann setzt er sich in Bewegung und rennt durch die Gänge auf sein Opfer zu. Der Mann versucht zu fliehen. Da er sich immer noch an die Regel hält, also keinerlei Anstalten macht, über die Steine hinwegzuspringen, die seinen Weg links und rechts einfassen, ist er dem MINOTAURUS gegenüber deutlich im Nachteil. Dieser ist nicht nur schneller, ein geübter Läufer anscheinend, sondern auch besser im Bild. Im Gegensatz zum kopflos fliehenden Mann, der sich trotz seiner Karte nicht zurechtfindet, kennt der MINOTAURUS jede Abzweigung und jeden Winkel. Schliesslich stellt er sein Opfer und... Bevor man sieht, was jetzt geschieht, wechselt das Kamerabild auf die Ebene der Karte. Hier sieht man nebst den Grundrisslinien des Labyrinths auch den Mann: er ist in ein Strichmännchen verwandelt. Äussere Merkmale wie Mittelscheitel, Brille, weiter Pullover o.ä., sind stark schematisiert und müssen gut getroffen sein, damit man den Mann in seiner gezeichneten Version auf Anhieb erkennen kann. In dieser zweidimensionalen Gestalt rennt er durch die gezeichneten Gänge zum Ausgang und entwischt. Die Trickfilm-Sequenz müsste skizzenartig von Hand gezeichnet sein. Nun geht das Filmbild zurück in das reale Labyrinth, wo der MINOTAURUS die fallengelassene Karte vom Boden aufhebt und mit wiegendem Kopf betrachtet. Nach einer Weile zieht er sich die Stiermaske vom Gesicht: zum Vorschein kommt der Mann. Er wirft die Stiermaske fort und macht sich zögernd auf den Weg durchs Labyrinth. Die Quest beginnt von vorn.

 

 

 

Ruhetag (Schlöck und Meissenbüttel, Teil 1)

 

Die Heissluftballonfahrer Schlöck und Meissenbüttel träumen von grenzenloser Freiheit. Sie haben ihren Ballon technisch aufgerüstet, damit sie den Atlantik überqueren können. Eines Morgens: der Wind ist günstig, es kann losgehen. Schlöck und Meissenbüttel steigen in den Ballonkorb und in die Luft. Es geht flott voran. Doch auf halber Strecke nach Frankreich vollziehen sie eine Notlandung. Eigentlich wollen sie nur etwas trinken. Als sie merken, dass die einzige Beiz weit und breit geschlossen ist (Montag = Ruhetag) beginnen sie zu randalieren. Jemand ruft die Polizei, und die beiden Heissluftballonfahrer wandern in die Arrestzelle.

 

 

 

Verschollen (Schlöck und Meissenbüttel, Teil 2)

 

Schlöck und Meissenbüttel, zwei Stadtalpinisten, wollen den Binninger Hügel besteigen. Sie planen und organisieren die Hügeltour wie eine Expedition auf den Mount Everest. Eines Morgens: das Wetter ist günstig, das Abenteuer kann losgehen. Schwer bepackt stapfen sie durch Villengärten den Hügel hinauf, vorbei an beisswütigen Hunden, misstrauischen Gartenzwergen und sonnenbestrahlten Gewächshäusern, die derart leuchten, dass Schlöck und Meissenbüttel ihre Schneebrillen aufsetzen müssen. Abschrankungen, Gräben, Hecken und Alarmanlagen mit Lichtsensoren erfordern grosse Geschicklichkeit. Schlöck fällt in einen Komposthaufen, Meissenbüttel in einen Zierweiher. Da und dort überqueren sie eine Strasse und kriechen unter parkierten Autos hindurch. Als sie auf dem Hügel oben ankommen, stellen sie zu ihrem Entsetzen fest, dass schon jemand da ist: eine alte Frau mit Rollator. Vor lauter Wut darüber, dass sie nicht die Einzigen und Ersten sind, die auf diesem Hügel herumgehen, verpassen sie den Wasserturm. Den haben sie eigentlich besteigen wollen, um die Basler Fahne oben aufzuhängen. Als Beweis, dass sie es wirklich geschafft haben... Und es kommt noch schlimmer. Weil die einzige Sauerstoffflasche, die sie mitgenommen haben, inzwischen aufgebraucht ist, sehen sie Sternchen und geraten aus dem Tritt. Es ist hoffnungslos. Sie verirren sich auf dem Schrebergärtchenareal “Bruderholz”. Seither gelten sie als verschollen.

 

 

 

Die Pfütze (Schlöck und Meissenbüttel, Teil 3)

 

Schlöck und Meissenbüttel spazieren auf einem Feldweg. Sie kommen an eine Schlammpfütze. Sie bleiben stehen, sie wollen schauen, wie tief die Mulde ist, in der sich das Wasser gesammelt hat. Ist es überhaupt noch eine Pfütze oder nicht eher schon ein Tümpel? Kein Boden zu sehen. Das brauntrübe Wasser lässt sie zusammenschrecken. Meissenbüttel wettet mit Schlöck um fünfzig Franken, dass Schlöck sich nicht getrauen würde, in das schmutzige Wasser hineinzuspringen. Ach was, sagt Schlöck, ist doch gar nicht so tief. Die fünfzig Franken gehören mir... Er springt - pflotsch - und steckt bis zur Hüfte im Schlamm. Schlöck ist gefangen. Meissenbüttel versucht ihn herauszuziehen, doch seine Arme sind zu kurz, und Schlöcks Arme sind auch nicht viel länger. Hilfe, sagt Schlöck, ich sinke. Meissenbüttel beruhigt ihn. Nicht bewegen, es wird alles gut. Bin gleich wieder da... Er läuft ins Dorf. Beim erstbesten Haus klingelt er, hämmert gegen die Tür. Nach einer endlosen Weile öffnet ein alter Mann. Schön dass jemand zu Hause ist, sagt Meissenbüttel, seien Sie bitte so lieb und geben Sie mir fünfzig Franken. Ich schulde das Geld einem Freund. Ich habe mit ihm gewettet, und wie es aussieht, habe ich die Wette verloren... Der alte Mann schaut ihn entgeistert an. Was ist denn? Helfen Sie mir doch, fleht Meissenbüttel. Er stülpt seine Hosentaschen nach aussen, klappt das leere Protemonnaie auf. Nix, bin völlig blank, sehen Sie... Der alte Mann brummelt ein Wort, das wie “Arschloch” klingt, und schmettert Meissenbüttel die Tür vor der Nase zu. Meissenbüttel läuft zurück zum Schlammloch und sieht gerade noch, wie das oberste Haarbüschel von Schlöck im Schlamm versinkt. Du Schlöck, meint Meissenbüttel, tut mir aufrichtig leid, nix zu machen. Das Geld bleibe ich dir wohl schuldig.

 

 

 

Der internationale Picknicktag

 

Der internationale Picknicktag. Es regnet Bindfäden. Vater besteht darauf, den Picknicktag trotzdem zu begehen. Vergeblich versucht ihn seine Frau umzustimmen. Die Kinder kränkeln, aber sie müssen mitmachen. Die Grossmutter liegt im Sterben, aber sie muss mitmachen. Onkel Alfred ist kürzlich gestorben, also findet das Picknick an seinem Grab statt. Vater zieht die Sache durch. Wer da nicht mitmacht, ist ein Sauertopf, sagt er, als er den Picknickkorb öffnet. Ein bisschen ausspannen und das Leben geniessen, das kann doch wohl nicht so schwer sein!

 

 

 

Die Königin will Zucker

 

Aussenansicht: eine Baracke auf offenem Feld. Keine hässliche Baracke, farbig bemalt, hübsche Fensterchen mit Gardinen. In der Baracke sitzt die Königin an einem Tisch und schenkt sich aus einer schmucken Kanne Tee ein. Die Königin, klein von Gestalt, fast eine Zwergin, sitzt auf einem hochbeinigen Stuhl. Auf dem Tisch Teegeschirr und ein rotes, altmodisches Telefon.

 

Draussen auf einem Feld. Der Anarchist macht sich an einer Telefonstange zu schaffen. Der Ort ist irgendwo, muss nicht mit der Baracke in Verbindung stehen. Der Anarchist zapft die Telefonleitung an. Alles deutet darauf hin, dass er etwas Verbotenes tut. Immer wieder blickt er sich ängstlich um. Er hantiert mit einem Draht, den er an der Stange befestigt. Der Draht führt in einen Köpfhörer, den sich der Anarchist auf den Kopf setzt. Er hockt sich hin, lauscht angestrengt. Man hört das Knacken, Fiepen und Summen von Telefonleitungen.

 

Als die Königin einen Schluck Tee nimmt, verzieht sie angewidert das Gesicht. Sie greift zum Telefonhörer, wählt eine Kurznummer.

 

Der Hofmarschall Schnagenschnuggler sitzt im Wald auf einem Campingstuhl. Er liest die “Glückspost” oder sonst ein Regenbogenblättchen. In Griffnähe ein Schrank mit Telefon. Das Telefon klingelt. Schnagenschnuggler nimmt ab.

 

Schnagenschnuggler: Jaaaa?

 

Königin: Hofmarschall Schnagenschnuggler?

 

Schnagenschnuggler (mit gedehnter Stimme und distinguiertem Akzent): Ja, am Apparat. Was gibt’s?

 

Königin: Tee ohne Zucker, igitt! Ich will Zucker!

 

Schnagenschnuggler steht schwerfällig auf, nimmt Haltung an: Ihre Majestät, Sie sind’s... Bin untröstlich. Aber sicher doch, unverzüglich.

 

Der Anarchist hat das kurze Gespräch mitverfolgt. Er nimmt die Kopfhörer vom Kopf.

 

Anarchist (äfft Schnagenschnugglers Stimme und Akzent nach): Bin untröstlich. Aber sicher doch, unverzüglich....(Mit seiner normalen Stimme) Scheissroaylisten, euch sollte man samt und sonders...

 

Schnagenschnuggler legt den Hörer auf die Gabel, öffnet den Schrank und nimmt eine Zuckerdose heraus. Mit einer winzigkleinen silbernen Zuckerzange klaubt er aus der Dose einen Zuckerwürfel. Dann rennt er zu einem alten Herrenvelo, das ganz in der Nähe an einem Baum abgestellt ist. Schnagenschnuggler schwingt sich auf den Sattel und fährt los. Er fährt einhändig bergabwärts. Die Hand mit der Zuckerzange und dem Zuckerwürfel ragt hoch in die Luft. Nach wilder Fahrt querfeldein und über holprige Gehwege erreicht er die Baracke der Königin. Er wirft das Velo ins Gras und eilt zur Barackentür. Bevor er eintreten kann, muss er das vorgeschriebene Ritual über sich ergehen lassen.

 

Schnagenschnuggler: Ich begehre Einlass!

 

Königin: Wie lautet das Losungswort?

 

Schnagenschnuggler (schaut auf seine Hand, er hat das Losungswort mit Filzstift auf die Daumenballe gekritzelt) Das Losungswort lautet.... Bienenstich.

 

Königin: Die Pforte möge sich öffnen.

 

Die Tür geht von alleine auf.

 

Schnagenschnuggler tritt vor die Königin. Sie hält ihm die Tasse entgegen, und nach einer kurzen Verbeugung versenkt Schnagenschnuggler den Zuckerwürfel im Tee. Die Königin blickt konsterniert. Sie deutet auf die Tasse.

 

Königin: EIN Würfel?

 

Sie stellt die Tasse langsam auf den Tisch.

 

Schnagenschnuggler: Jawohl, Ihre Majestät, ein Würfel!

 

Königin: (mühsam beherrscht) Ich bin untersüsst.

 

Schnagenschnuggler: Wie meinen?

 

Königin: I’m not amused...

 

Die Königin ballt in stummer Wut die Fäuste, sie windet sich auf ihrem Stuhl, strampelt mit den zu kurzen Beinen, bläst die Backen auf.

 

Königin: Was glaubst du denn? Einer ist zuwenig! ZWEI Zuckerwürfel pro Tasse, nicht mehr und nicht weniger! Schau mal, ZWEI...

 

Sie spreizt zwei Finger vor Schnagenschnugglers Nase.

 

Königin: ZWEI! Schon immer sind es ZWEI gewesen! Kapiert? Also spute dich, bevor ich den Scharfrichter rufe, damit er dich um den Kopf kürzt, den du nicht hast.

 

Schnagenschnuggler stolpert rückwärts zur Tür hinaus, eilt zum Velo, schwingt sich auf den Sattel und strampelt zurück in den Wald.

 

Als Schnagenschnuggler fort ist, nimmt die Königin ihre Tasse zur Hand und schüttet den Tee auf den Boden. Sie schenkt sich eine neue Tasse ein.

 

Der Anarchist erscheint nun im Wald. Er kauert hinter einer Holzbeige oder in einem Gebüsch. Er überprüft seine Pistole, zielt mit ihr zum Schein auf ein Eichhörnchen. Dann zückt er ein Fernrohr und sucht damit die Umgebung ab. Durch das Fernrohr sieht man (mit dem Auge des Anarchisten) Schnagenschnuggler den Berg hinaufstrampeln. Bei diesem Anblick lacht der Anarchist hämisch vor sich hin. Als er das Fernrohr absetzt, murmelt er: “Du Scheissroyalist. Deine Königin will ich mir heute noch vorknöpfen...”

 

Schnagenschnuggler entnimmt der Zuckerdose ein zweites Zuckerstück. Dann schwingt er sich wieder aufs Velo und fährt die gleiche Strecke zurück. Die Hand mit der Zuckerzange und dem Zuckerwürfel hält er weit von sich weg. Schliesslich wirft er das Velo ins Gras und eilt zur Barackentür.

 

Schnagenschnuggler: Ich begehre Einlass!

 

Königin: Wie lautet das Losungswort?

 

Schnagenschnuggler (schaut auf seine Hand) Das Losungswort lautet.... Bienenstich.

 

Königin: Die Pforte möge sich öffnen.

 

Die Tür geht von alleine auf.

 

Schnagenschnuggler tritt vor die Königin. Sie hält ihm die Tasse entgegen, und nach einer kurzen Verbeugung versenkt Schnagenschnuggler den Zuckerwürfel im Tee. Die Königin blickt konsterniert. Sie deutet auf die Tasse.

 

Königin: EIN Würfel?

 

Sie stellt die Tasse langsam auf den Tisch.

 

Schnagenschnuggler: Jawohl, Ihre Majestät, ein Würfel! Äh, ich meine zwei. Es ist der zweite...

 

Königin: (mühsam beherrscht) Ich.Bin.Immer.Noch.Unter.Süsst.

 

Schnagenschnuggler: Bitte?

 

Königin: I’m not amused...

 

Die Königin ballt in stummer Wut die Fäuste, sie windet sich auf ihrem Stuhl, strampelt mit den zu kurzen Beinen, bläst die Backen auf.

 

Königin (endlich bricht es aus ihr heraus, schreiend): Wie oft muss ich’s denn noch sagen? ZWEI Zuckerwürfel pro Tasse! Schau mal, ZWEI...

 

Sie spreizt zwei Finger vor Schnagenschnugglers Nase.

 

Königin: Geht das endlich in dein Amöbenhirn?

 

Schnagenschnuggler: Aber ich dachte....

 

Königin: Nicht denken, zählen! Zählen! Eins, ZWEI! Schon immer sind es ZWEI gewesen! Kapiert? Also spute dich, bevor ich den Scharfrichter rufe. (schnippisch) Es wäre doch ein Jammer, wenn ich ihm seinen freien Tag verderben müsste.

 

Schnagenschnuggler stolpert rückwärts zur Tür hinaus, eilt zum Velo, schwingt sich auf den Sattel und strampelt zurück in den Wald.

 

Als Schnagenschnuggler fort ist, nimmt die Königin ihre Tasse zur Hand. Sie nippt vorsichtig daran; schmatzend und schnalzend schwenkt sie den Tee im Mund herum.

 

Königin: (im Ton eines launigen Selbstgesprächs) Hmmm, eigentlich gar nicht so übel... Zu süss ist auch nicht gut... Wieso bringt der mir eigentlich Zucker? Wieso nicht Rübkohl? Will er mich vergiften? Aber was soll’s. So wird mir wenigstens nicht langweilig.

 

Da klingelt das Telefon. Die Königin stutzt, stellt die Tasse langsam auf den Tisch. Sie nimmt ab.

 

Königin: Ja?

 

Die heisere Stimme des Anarchisten: Nieder mit der Monarchie! Ecrasez l’infâme!

 

Königin: Nein danke, ich kaufe nichts. Kein Hunger, schö ne pas faim.

 

Sie hängt auf.

 

Der Anarchist hat sich des Telefons bemächtigt. Er fläzt sich auf Schnagenschnugglers Stuhl. Nach dem Anruf bei der Königin legt er den Hörer auf die Gabel und steht auf. Er reibt sich die Hände, grinst. Schnitt auf Schnagenschnuggler, der sich mit dem Velo dem Sitzplatz nähert. Schnitt auf den Anarchisten, der das Geräusch des klappernden Velos hört und sich eiligst hinter dem Schrank versteckt. Schnagenschnuggler kommt heran, greift verzweifelt nach der Zuckerdose und stopft den ganzen Inhalt in die Jackentasche. Als er wieder gehen will, zieht ihm der Anarchist von hinten mit der Pistole eins über den Schädel. Schnagenschnuggler fällt bewusstlos zu Boden. Der Anarchist beugt sich hinab, nimmt einen Zuckerwürfel aus Schnagenschnugglers Tasche.

 

Anarchist (hämisch grinsend): So, so, die Königin will wieder einmal Zucker...

 

Er bemerkt das Losungswort auf Schnagenschnugglers Hand.

 

Er steht auf. Seinem Gesicht sieht man an, dass der Groschen gefallen ist. Er hat nun das Losungswort. Bewaffnet mit Zuckerwürfel und Pistole schwingt er sich auf Schnagenschnuggglers Velo und fährt den Berg hinab zur königlichen Baracke. Er steigt vom Velo und nähert sich der Tür. Er zückt die Pistole.

 

Während er sich der Tür nähert, spricht er mit sich selbst, äfft Schnagenschnuggler und die Königin nach: Hallo, Ihre Majestät, ich begehre Einlass... Wie lautet das Losungswort?.... Wie wär’s mit - Muckefuck? (Lacht grobschlächtig, spricht mit seiner normalen Stimme weiter) Das bescheuerte Ritual kennt doch hierzulande jede Glückspostleserin. Nur das richtige Losungswort hat mir noch gefehlt... Bienenstich... Bienenstich...

 

Schnitt auf Schnagenschnuggler, der aus seiner Ohnmacht erwacht und sich hochrappelt. Blut am Kopf. Er kann sich kaum auf den Beinen halten. Mit letzter Kraft schleppt er sich zum Telefon, stellt die Nummer der Königin ein.

 

Schnitt auf die Königin: das Telefon klingelt. Sie nimmt ab.

 

Königin: Ja?

 

Schnitt auf den Anarchisten, der vor der Tür steht.

 

Anarchist (verstellt die Stimme, spricht mit Schnagenschnugglers Akzent): Ich begehre Einlass!

 

Schnitt auf Schnagenschnuggler.

 

Schnagenschnuggler: Mein Kopf...

 

Die Königin lässt den Hörer sinken. Sie starrt auf die Tür.

 

Schnitt auf den Anarchisten. Er klopft an die Tür. Mit verstellter Stimme wiederholt er: Ich begehre Einlass!

 

Königin (zur Tür gewandt): Geduld, lieber Hofmarschall! Die Teezeit läuft uns schon nicht davon!

 

Sie nimmt den Hörer wieder zum Ohr.

 

Königin (ins Telefon): Hallo? Wer ist da? Ich kaufe nichts. Haben Sie gehört?

 

Schnitt auf Schnagenschnuggler. Er stöhnt und windet sich. Plötzlich entgleitet ihm der Hörer. Er verdreht die Augen, kippt zu Boden und bleibt bewusstlos liegen. Dann wieder Schnitt auf die Königin.

 

Königin (ins Telefon): Hallo? Sind Sie noch da? Was wollen Sie?

 

Schnitt auf den Anarchisten. Er hält die Pistole bereit. Klopft mit ihr behutsam an die Tür. Spannt den Abzug.

 

Königin (zur Tür gewandt): Ja, ja, ja. Was bringen Sie mir eigentlich diesmal, Herr Hofmarschall? Einen Zuckerwürfel?

 

Anarchist (mit verstellter Stimme): Jawohl. Einen Zuckerwürfel. Wie gewünscht.

 

Königin: (leise zu sich selbst, während sie das Telefon auflegt und sich daran macht, die Teetasse neu aufzufüllen) Das ist doch der grösste Dummkopf, der mir jemals untergekommen ist. Ein einziges Zuckerstück will er mir in den Tee tun! Schon wieder! Hat immer noch nicht kapiert, dass ich untersüsst bin.... Na warte... Na warte...

 

Die Königin trippelt mit der Teetasse zur Tür. Postiert sich seitlich des Türrahmens und hält die Teetasse hoch. Die Absicht ist offenkundig: der Eintretende soll mit heissem Tee übergossen werden.

 

Königin (laut): Sprechen Sie das Losungswort.

 

Anarchist: Bienenstich!

 

Die Tür geht auf.

 

Der Anarchist macht einen Schritt vorwärts, die Pistole in den Raum gerichtet. Fast zeitgleich leert die Königin die Tasse über seinem Kopf aus. Der Anarchist lässt die Pistole fallen, schlägt die Hände vors Gesicht und geht jaulend zu Boden.

 

Zeitsprung. Vor der Baracke ist ein provisorischer Richtplatz aufgebaut worden. Auf dem Boden ein Kreis aus Sägemehl oder Streu, in der Mitte der Richtblock. Der Scharfrichter mit Kapuze. Er schleift gemächlich sein Beil. Der Anarchist kniet vor dem Richtblock, die Hände auf dem Rücken zusammengebunden. Dem Richtplatz gegenüber zwei Stühle. Der eine Stuhl hat hohe Steckenbeine, der andere ganz kurze Stummelbeine. Auf dem hochbeinigen Stuhl sitzt die Königin mit unbeweglichem Gesicht. Auf dem kurzbeinigen Stuhl sitzt der Hofmarschall Schnagenschnuggler. Sein Kopf ist bandagiert. Der Scharfrichter hält mit dem Schleifen inne. Er prüft die Beilklinge mit dem Daumen. Sein Blick geht zur Königin. Die Königin hebt die Hand.

 

Königin: Hat der Delinquent vielleicht noch einen letzten Wunsch?

 

Anarchist: (wirft den Kopf unwirsch hoch) Ja, hätte ich.

 

Königin: Und?

 

Anarchist: Eine Tasse Tee!

 

Die Königin gibt dem Scharfrichter ein Zeichen. Dieser geht in die Baracke und kommt mit einer Tasse zurück, die er dem Anarchisten an die Lippen hält. Der Anarchist nimmt einen Schluck, spuckt angewidert aus.

 

Anarchist: Da ist kein Zucker drin!

 

Königin: Ja und?

 

Anarchist: Es ist mein letzter Wunsch! Ich möchte Zucker im Tee!

 

Königin: Na schön.

 

Sie gibt Schnagenschnuggler ein Zeichen. Dieser wälzt sich unwillig auf die Beine und geht zum Velo, das in der Nähe im Gras steht. Man sieht Schnagenschnuggler davonradeln. Er kommt zu seinem Sitzplatz, öffnet den Schrank und nimmt die Zuckerdose heraus. Sie ist randvoll mit Zuckerwürfeln gefüllt. Mit der winzigkleinen silbernen Zuckerzange klaubt Schnagenschnuggler einen Zuckerwürfel heraus. Dann schwingt er sich wieder auf den Sattel und fährt los. Er fährt einhändig bergabwärts. Die Hand mit der Zuckerzange und dem Zuckerwürfel ragt hoch in die Luft. Nach wilder Fahrt querfeldein und über holprige Gehwege erreicht er die Baracke und den Richtplatz. Er steigt vom Velo und versenkt den Zuckerwürfel in der Tasse, die der Scharfrichter immer noch in der Hand hält. Anschliessend bückt sich der Scharfrichter zum Anarchisten hinunter, um ihm den gezuckerten Tee einzuflössen. Der Anarchist schüttelt heftig den Kopf.

 

Königin: Was ist denn jetzt schon wieder?

 

Anarchist (boshaft grinsend): EIN Stück Zucker genügt mir nicht. Ich bin untersüsst.

 

Im Schlussteil oder Abspann, der mit lüpfiger Musik unterlegt sein sollte, wird in slapstickartiger Beschleunigung und in rascher Schnittfolge gezeigt, wie Schnagenschnuggler abermals ein Zuckerstück aus der Dose klaubt, mit dem Velo bergab saust, das Zuckerstück im Tee versenkt, vom kopfschüttelnden Anarchisten darüber belehrt wird, dass der Tee noch nicht süss genug sei, wieder bergauf radelt, von neuem ein Zuckerstück aus der Dose klaubt und so weiter. Eine Möglichkeit, diesen Vorgang zu steigern, besteht darin, ihn drastisch ausufern zu lassen. Statt einzelne Zuckerstücke zu transportierten, buckelt Schnagenschnuggler plötzlich ganze Zuckersäcke oder fährt sogar mit einem Lastwagen vor. Der Phantasie sind hier keine Grenzen gesetzt.

 

 

 

 

 

Anna und Kaspar

 

 

(Entwurf einer Dialogszene/Dada-Trailer 2016) 

 

Anna Blume auf einem Gartenstuhl. Sie riecht an einer roten Blume. (Kann, muss aber keine Rose sein) Kaspar an Krücken humpelnd. Als er Anna Blume sieht, bleibt er stehen und wirft die Krücken fort. Er macht einen Luftsprung. Sein Hut ändert rasend schnell die Form. (Tabarin-Hut)

 

Conférencier (schiebt sich ins Bild): "Meine Damen und Herren! Willkommen in der grössten Stätte vornehmer Kleinkunst. Das Juni-Programm spricht für sich selbst. Hab die Ehre, zu konferieren. Beginnen wir mit dem Anfang..."

 

Texteinblendung: „Eiter & besinnlich!“

 

Der Conférencier beisst seelenruhig in eine Zwiebel, käut. Anna Blume hält nun nicht mehr eine Blume in der Hand, sondern einen roten Fisch. Sie betrachtet ihn eingehend. Anna Blume (zum Fisch): "Rot, tot oder Broccoli."

 

Kaspar (tippt sich an die Stirn): „Anna hat ein Vogel!“

 

Er zieht aus seinem Hut einen weiblichen Schrumpfkopf. Kaspar (zum Schrumpfkopf): „Oh du Geliebte meiner 27 Sinne!“

 

Anna Blume: „Und wo ist die Negermusik?“

 

Man hört Negermusik. Sie verklingt langsam.

 

Kaspar: „Aha! Die Liliputaner-Neger in der Glutenkiste! Sie musizieren wunderschön!“

 

Er öffnet eine Kartonschachtel, aus der Rauchschwaden emporsteigen.

 

Kaspar (guckt in die Kiste): „Endlich, es glüht!“

 

Anna (zeigt auf den roten Fisch): „Der gehört beiläufig in die Glutenkiste. Ordnung muss sein!“

 

Kaspar (zu Anna): „Nicht so schnell. Die Leute sagen, du wärst.“

 

Anna: „Gegen die Leute hab ich ein Therapiepflaster!“

 

Sie klebt sich ein grosses Pflaster über beide Augen. Kaspar wedelt mit der Hand vor Annas Augen herum. Sie sieht tatsächlich nichts. Kaspar nimmt vorsichtig den Fisch aus Annas Hand. Kaspar steckt den Fisch in eine Voliere.

 

Kaspar: „Preisfrage: Welche Farbe hat der Vogel?“

 

Anna (streckt die Hand hoch wie ein Schulkind): "Muss ich es wissen oder darf ich raten?“

 

Kaspar: „Beides.“

 

Anna: „Ehmmm... Parapluie!“

 

Kaspar: „Unglaublich! Es funktioniert auch von hinten!“

 

Anna erhebt sich, um fortzugehen. Sie streckt die Arme aus, tapst vorwärts, mit dem Augenpflaster ist sie blind.

 

Kaspar: „Wohin gehst du Anna?“

 

Anna: „Zum vornehmen Tanz-Tee, wohin denn sonst?“

 

Anna macht summend ein paar Tanzschritte.

 

Kaspar (schlägt die Hand vor die Augen): „Ach, das ist zuviel! Das halt ich nicht aus!“

 

Der Conférencier erscheint mit einer Teetasse und einem Teekrug. Er schenkt sich dampfenden Tee ein. Pustet in die Tasse.

 

Conférencier: „Die artistische Direktion hüllt sich in wohltätiges Schweigen.“ (Schlürft an der Teetasse) In Mundart: "Ich säge nüt!"

 

Kaspar steht auf einem Stuhl. Er schlägt mit den Armen, als wären es Flügel: „Schöner Tod Morgenrot!“

 

Kaspar springt auf den Boden. Er bleibt liegen. Der Körper puppenhaft verrenkt.

 

Anna (leise, zu sich selbst): „Jetzt donnert hinter der Sonne die schwarze Kegelbahn!“

 

Sie nimmt das Pflaster von den Augen. Als sie Kaspar sieht, erschrickt sie. Sie stupst ihn an.

 

Kaspar: „Aua!“

 

Anna: „Du bist ja gar nicht tot!“

 

Kaspar: „Das gehört beiläufig nicht hierher!“

 

Anna: „Also doch! Weh unser guter Kaspar ist tot."

 

Sie weint theatralisch. Schnitt, dramatische Musik. Kaspar plötzlich aufrecht, in Leintücher und/oder WC-Papier eingewickelt. Er geht umher wie eine Mumie, wickelt sich aus. Zum Vorschein kommt der untote Kaspar, der Kaspar-Zombie.

 

Conférencier (während man den Kaspar-Zombie herumwanken sieht): „Der hochberühmte Musical-Clown und Konzertmaler Kaspar Tunichtgut gibt nun sein zweites Gastspiel... DAS Saison-Ereignis dieser Dekade, meine Damen und Herren, grosse angekündigte Überraschung, literarische Tombola für Analphabeten, Tischbestellung rechtzeitig erbeten unter der Telefonnummer 3891...“

 

Die Telefonnummer wird eingeblendet. Man sieht Anna und Kaspar auf der Wiese herumrennen. Spiel oder Verfolgungsjagd? Das Bild wird unscharf, während das Telefon läutet und läutet.

 

 

 

 

2010-2015