In den Tropen

 

Off-Text zum Film

 

 

 

Meine erste Forschungsstation befindet sich schon mitten im Outback. Dschungelverhältnisse, wie man sie nur im Dschungel findet. Das heisst in den Tropen. Die Luft im allgemeinen konstant, will sagen gutverträglich, wenn auch hygrometrisch jenseits das überhaupt noch Messbaren.

 

Als Tropenforscher vom Eidgenössischen Tropeninstitut, Abteilung Personaldienst, ist es meine traurige, aber auch schöne Pflicht, die verschollenen Tropenforscher zu suchen. Wo könnten sie stecken, wenn nicht in den Tropen?

 

Nachdem ich die Deklination meiner zittrigen Magnetnadel studiert habe, mache ich mich unverzüglich auf den Weg in Richtung Südost, äh, Südwest. Der Dschungel zeigt sich ergiebig und interessant, wovon ich natürlich gebührend Notiz nehme. Zwecks Dokumentation meiner Erkundungsreise führe ich ein sogenanntes Land-Logbuch. Obschon ein bisschen unhandlich, passt es doch ganz bequem in meine Hosentasche.

 

Zu Anfang meiner Reise erlustige ich mich beim Betrachten der unmöglichen Urwaldbäume. Ich kann es noch kaum begreifen, dass ich auf einem fremden Kontinent bin. Ein wahrlich wildwüchsiger Urzustand, an welchen man sich zuerst einmal gewöhnen muss.

 

Auf den ersten Urwald folgt schon bald die erste Savanne. Sie ist flach wie eine gequetschte Hand und besteht zur Hauptsache oder a potiori, wie der Lateiner zu sagen pflegt, aus Gras. In der Ferne begatten sich die Elefanten.

 

Wo sind eigentlich die Eingeborenen? Ah, wahrscheinlich ausgewandert. Aber sonst noch alles am richtigen Ort und einwandfrei zu klassifizieren. Die Vögel in ihrem Schwatzwaldwinkel... Die filtrierenden Schalentiere... Die Lungenschnaken, die Klumpflügler, die Zehrspinnler, die Drehschrecken, die schreienden Kaukerfe, die Furzwunzeln....

 

Ah, die summenden Honigbäume...

 

Die Menschenähnlichkeit gewisser Primaten ist für uns Menschen sowohl befremdlich als auch beglückend.

 

Nasenaffen, Nasenaffen, Nasenaffen äffen Vasen oder Hasen nach.

 

Nun muss ich nachgerade scharf auf der Hut sein und ein bisschen nachdenken. Die örtlichen Verhältnisse in Bezug auf das Vorhandensein ungemütlicher Tiere lassen es mir angeraten erscheinen, mein sanguinisches Draufgängertum ein bisschen zu zügeln.

 

Das Vorhandensein ungemütlicher Tiere scheint mir unbestreitbar. Der westafrikanische Orinoko-Tiger umschleicht seine Beute mit scharf gewetzten Krallen. Mit den Löwen verbringe ich unvergessliche Stunden grösster Nervenanspannung.

 

Mit markantester Deutlichkeit sehe ich, was da kreucht und fleucht, und vieles davon, wenn auch beileibe nicht alles, bietet mir einen hocherfreulichen Anblick, welchen ich bedauerlicherweise nicht festhalten kann, da ein Krokodil meine Photokamera gefressen hat.

 

Ich selber komme einigermassen glimpflich davon. Wahrscheinlich denken die Fleischfresser, ich sei ein unverdaulicher protestantischer Missionar.

 

Ob die verschollenen Tropenforscher noch am Leben sind? Ich wage es nicht zu bezweifeln.

 

Weiter geht es durch Holz und Gestrüpp, und schon bald komme ich auf eine stark betretene Spur, welche sich allerdings als meine eigene herausstellt...

 

Die gewaltigen Regenwaldbäume vermindern die Lichtintensität auf ein flirrendes gräuliches Minimum.

 

Ein Bächlein ruft mich zur Erfrischung und Erquickung.

 

Also doch noch ein waschechter Ureinwohner! Ohne jeden Zweifel handelt es sich um einen Halbneger vom Stamme der Dadaumpa. Wir tauschen ein paar Höflichkeiten, weil das wichtig ist für die Völkerverständigung. Dann führt er mir seinen Regentanz vor.

 

Trotz des relativ niedrigen Kulturzustands der Dadaumpa – sie kennen weder Mozart noch Beethoven – sprechen sie eine komplizierte und reichhaltige Sprache. In Betreff des Erlernens dieser Sprache darf ich füglich von mir behaupten, die üblichen Anfängerschwierigkeiten überwunden zu haben, wenn auch nur durch unablässiges Üben, welches in Betreff des Erlernens dieser Sprache gewissermassen unerlässlich ist. Mittwochs mache ich mir ein Müsli. Darumba lanba olon golom..... Der Laienkunstmaler Meier malt eine schöne Mai-Blume. Furu muru Meier guu me fandanga lu bui.... Das Huhn flug, eh flog über den Hühnerstall. Dere galamba bulu ulu durungu. Mutter hat einen Nussgipfel gebäckt, eh gebuken. Gerengi bulu wasa berasi u u la....

 

Um mich vor dem gefürchteten Monsunregen zu schützen, trage ich eine selbstgebastelte Duschhaube.

 

In einer der vergessensten Gegenden der Welt stosse ich auf die geheimnisvollen Spuren einer vorzeitlichen Zivilisation.

 

Ah, die gewaltige Umfangsmauer.... Wahrlich, wie von Zyklopen erbaut!

 

Im schier ausweglosen Todeslabyrinth versagen meine sämtlichen navigatorischen Kunstkniffe. Immerhin kann ich hier endlich mal meine Socken ausziehen, ohne dass es jemanden stört.

 

Ich leide ein wenig unter Sumpftyphus, einem nervösen Schleimfieber. Zum Glück habe ich noch ausreichend Opium und Chinin dabei...

 

Und wieder darf ich eine Probe meiner kolossalen Umsichtigkeit ablegen, indem ich den kleinen Schritt zuerst mache – und dann erst den grossen. Und am Schluss den allergrössten.

 

Und wieder einmal arbeite ich mich durch einen ganzen Berg von Herausforderungen hindurch, welche ich natürlich bravourös bemeistere.

 

Unter allerlei Fährlichkeiten und Wegverfehlungen stosse ich bis zu dem Punkt vor, wo der Dschungel aufhört und etwas ganz anderes anfängt: nämlich ein reizend angelegter Garten. Es ist der Garten Eden.

 

Diesen Tag verbringe ich in Ruhe und Müssiggang. Ich ziehe mich in die Gartenlaube zurück, um mich von meinen Strapazen zu erholen. Hier sammle ich Luft für neue Grosstaten.

 

Nachdem John Hanning Speke ganz Nordostafrika kartographiert hatte, stellte er beim Studium seiner Karten mit nicht geringer Verblüffung fest, dass der Nil 144 Kilometer weit aufwärts floss.

 

Als Charles Sturt, welcher in der australischen Wüste gegen Hunger, Skorbut, Durst und wilde Tiere gekämpft hatte, bei einem gemütlichen Spazierung eine Strasse überquerte, brach er sich ein Bein und starb.

 

Nun, erinnern wir uns bei dieser Gelegenheit auch der denkwürdigen Begegnung zwischen Henry Morton Stanley und David Livingstone am Tanganikasee.

 

Stanley: „Doctor Livingstone, I presume.“

Livingstone: „Yes, Sir.“

 

Nun ist so ziemlich alles vorüber. Und trotzdem gilt auch jetzt noch das immerwährende Vorwärts.

 

Was ist denn das? Eine Art Zirkuszelt aus Glas, sehr interessant.

 

Es kann als eine Merkwürdigkeit dieses Ortes angeführt werden, dass das Sonnenlicht gleichzeitig gefiltert und verstärkt wird. Aus allen Löchern schwillt irgendein Grünzeug hervor, und die Luft ist klebrig wie ein nasses Leintuch.

 

Ja potzduusig, da sind sie ja! Die verschollenen Tropenforscher. Hab ich sie doch noch gefunden.

 

Im Wissen um die gemeinsame Wellenlänge, welche uns Dschungelspezialisten über alle persönlichen Differenzen hinweg verbindet, habe ich mich den verschollenen Tropenforschern ohne grosses Geschwätz angeschlossen. Wir sind schon ein ganzes Rudel. Und immer wieder stösst ein neuer Tropenforscher hinzu, welcher sich zuerst einmal zünftig die Augen reiben muss, wenn er uns entdeckt hat. Und so erforschen wir nun gemeinsam die ganze tropische und subtropische Welt.

 

 

2015