Trupistisches Manifest

 

 

Geotrupes = Mistkäfer.

 

Der trupistische Künstler ist ein Mistkäfer in Menschengestalt.

 

Trupismus ist rückwärtsgewandt: je älter der Mist, den er herumkarrt, desto besser.

 

Trupismus glaubt nicht an eine Kunst, die sich weiterentwickelt. Trupismus glaubt an eine Kunst, die schon da ist. Alles Neue ist wertlos.

 

Trupismus nimmt sich, was er braucht.

 

In der Wahl seiner Mittel ist der trupistische Künstler völlig frei und unzimperlich. Er passt auf, dass er die Mittel nicht überbewertet. Sie sind Nebensache. Beim Essen hantiert man mit dem Besteck, man benutzt es, aber man ernährt sich nicht von ihm.

 

Der trupistische Künstler interessiert sich nicht für Kunst. Er interessiert sich eher für Essen, Trinken und Sex. Wenn er so etwas wie Kunst macht, geht es ihm lediglich um die Verwirklichung eines mythologischen Internums. Im Idealfall schaut dabei ein Chaos heraus, das zum Himmel stinkt.

 

Der trupistische Künstler steht in strikter Opposition zu einer Kunst, die als Dienstleistungsbetrieb eingerichtet ist.

 

Der trupistische Künstler verachtet und bekämpft eine Kunst, die sich gesellschaftlichen Aufgaben widmet. Die Kunst ist kein Kinderhort.

 

Der trupistische Künstler verachtet und bekämpft eine Kunst, die semantische oder semiotische Spielchen treibt.

 

Der trupistische Künstler verachtet und bekämpft eine Kunst, die verwaltet und organisiert ist wie eine Sozialversicherungsanstalt.

 

Der trupistische Künstler verachtet und bekämpft eine Kunst, die sich zu “Problemen” äussert. In einer Kunst, die ihren Namen verdient, gibt es keine Probleme. Es kann nicht die Aufgabe der Kunst sein, diesen Problemhaufen, den man Welt nennt, mit einem kommentierenden Beipackzettel zu versehen, und insofern ist der Künstler davon entbunden, irgendein Problem aufzeigen zu müssen. Tut er es trotzdem, ist er Soziologe, Politologe, Umweltschützer, Genderforscher etc. mit gewissen kreativen Kompetenzen, aber bestimmt kein Künstler.

 

Der trupistische Künstler ist selbstkritisch und selbstherrlich.

 

Der trupistische Künstler kann Koch, Poet, DJ oder Boxer sein. Die visuelle Kunst ist keine Königsdisziplin, im Gegenteil, das Auge kommt nach dem Ohr, sogar nach der Nase. Der trupistische Künstler pflegt sein Riechorgan. Der Misthaufen stinkt gut.

 

Der trupistische Künstler baut eine imaginäre Welt.

 

Der trupistische Künstler denkt auch wirklich an alles. So bohrt er zum Beispiel in eine leere Kartonschachtel ein Luftloch, damit das Nichts, das er in diese Kartonschachtel gesperrt hat, atmen und leben kann.

 

Der trupistische Künstler weiss um die Existenz anderer Menschen. Doch andererseits beeindruckt ihn dieses Wissen kaum. Er kann nichts damit anfangen.

 

Trupistische Kunst ist nicht eklektizistisch. Sie möchte ja den alten Mist nicht aufwärmen. Sie möchte ihn umwandeln, auf ein trupistisches Ziel hin ausrichten. Sie verarbeitet Aas zu Humus, Kompost zu Gas.

 

Der trupistische Künstler verachtet die gesellschaftliche Realität. Oder sie interessiert ihn einfach nicht. Er hat anderes zu tun, als den ganzen Tag aus dem Fenster zu schauen.

 

In seinem heutigen Zustand ist der Trupismus eine Schlägertruppe. Wehe dem, der sich ihm entgegenstellt!

 

Die Musen sind wichtig für die Inspiration. Doch abgesehen davon sind sie völlig unwichtig.

 

Wenn sich der trupistische Künstler Künstler nennt, dann nur, weil ihm dafür kein besseres Wort einfällt.

 

Trupismus ist nicht Dada.

 

Die Arbeit der Eidgenössischen Landestopographie ist für den Trupismus vorbildlich.

 

Trupismus ist das, was dabei herauskommt, wenn es jeden Sonntag regnet.

 

Der trupistische Künstler ist ein Bastler, ein Sonntagsmaler, ein Dilettant wie Goethe.

 

Trupismus ist das Neue im Gewand des Alten.

 

Der trupistische Künstler hat immer schon gelebt. Er kann sich nicht daran erinnern, jemals geboren worden zu sein.

 

Trupismus ist eine Flucht nach vorn im Rückwärtsgang.

 

Trupismus ist schwerbeweglich und verstockt. Er braucht keine Bewegung, weil er aus der Zeit herausgefallen ist. Trupismus ist ein Zustand zeitenthobener Imagination.

 

Trupismus ist skeptizistisch, nicht kritisch.

 

Das trupistische Kunstwerk findet auch bei Leuten Anklang, die nichts von Kunst verstehen. Das ist gut so.

 

Hirschhorn ist okay. Aber als Trupist müsste er zuerst einmal lernen, wie man ein Schweizer Sackmesser bedient.

 

Man darf sich vom Kunstbetrieb nicht verdummen lassen. Ausstellungen und Vernissagen dienen nicht der Kunst, sondern ausschliesslich der Selbstinszenierung irgendwelcher Kulturschwuchteln. Der Trupist hält sich da raus und bleibt unbestechlich.

 

Der Künstler beim Schlittschuhlaufen. Er fällt auf die Schnauze. Was ist das? Gute Kunst!

 

Wenn man ein minimalistisches Kunstwerk zerstört, ist der Schaden, den man damit anrichtet, nur minimal.

 

Der trupistische Künstler rollt seine Mistkugel über jedes Hindernis hinweg. Er arbeitet von früh bis spät.

 

Trupismus macht sich die eklektizistische Haltung der Postmoderne zu eigen, um die Postmoderne zu bekämpfen.

 

Trupismus verwendet keine Zitate, sondern Stimulanzien. Trupismus liebt die Magie zerkratzter Stummfilme. Er liebt Antiquitäten, unnötige Erfindungen und wild-wüste Zeichnungen. Er hasst das Bereinigte und zu Tode Perfektionierte. Er hasst Jeff Koons und Donald Judd.

 

Deshalb der Rückgriff auf die Anfänge. Trupismus ist auch eine Rückbesinnung auf den Pioniergeist der Moderne. Heutzutage ist Pioniergeist nur noch im radikalen Trupismus möglich.

 

Trupismus liebt Bäume und rauschende Bäche.

 

Trupismus liebt Misthaufen.

 

Die zeitgenössische Kunst steht unter streng akademischer Observanz. Von dort ist nichts mehr zu erwarten. Wir haben eine aufgeblasene Salonkunst wie im 19. Jahrhundert, einen Zirkel von Eingeweihten und Eingeschulten, die alles daran setzen, unter sich zu bleiben. Dies ist die Stunde der Dilettanten, dies ist die Stunde des Trupismus.

 

Trupismus setzt der Sterilität der etablierten Kunst seinen alten Mist entgegen.

 

Trupismus ist nicht zeitgemäss. Er kennt keine Zeit.

 

Trupismus macht Frustrationen fruchtbar.

 

Trupismus ist anti-akademisch, aber nicht Teil einer Subkultur. Trupismus ist die Kunst der Stubenhocker.

 

Trupismus lehnt es ab, eine Kunst zu machen, die nur für Spezialisten da ist.

 

Trupistische Kunst ist amüsant.

 

Trupismus ist anti-global und anti-urban.

 

Trupismus ist gesund und nahrhaft.

 

Der trupistische Künstler ist Maximalist.

 

Der trupistische Künstler möchte in der Kunst das vollbringen, was der Mistkäfer im Garten vollbringt.

 

Trupismus glaubt an göttliche Inspiration.

 

Die Zielsetzungen des Trupismus sind abgetan. Deshalb hat niemand mit Trupismus gerechnet.

 

Trupismus schickt eine Kunst, die die Dinge bloss aufzeigt, zum Teufel.

 

Der trupistische Künstler ist ein revoltierender Biedermeier. Hinter seinem Gartenhag hisst er die Totenkopfflagge.

 

Der trupistische Künstler operiert magisch und naturhaft. Er sitzt all jenen im Nacken, die glauben, den Magier abgeschafft zu haben.

 

Trupismus ist eine idealistische Kunst, keine realistische.

 

Trupistische Werke stehen nie für sich allein. Sie gruppieren sich zu einem organischen Ganzen, einem magischen Wald, der sich chaotisch verdichtet bis zur totalen Undurchdringlichkeit. Der trupistische Künstler strebt nach dem Gesamtkunstwerk.

 

Das trupistische Kunstwerk ist fertig, wenn der Künstler stirbt.

 

Der trupistische Künstler stirbt erst, wenn sein Kunstwerk fertig ist. Also nie.

 

 

Dieses Manifest wurde am 30. April 2004 um 9 Uhr morgens in den Atelierräumen des Bärwartschulhauses offiziell verlesen.

 

Zeugen gab es keine.