Kunstvermittlung

 

G.s Masterthesis-Arbeit “Kommentare zur Kunstvermittlung” im Spannungsfeld zwischen systemischer Kommunikation und struktureller Macht. Eine Rezension.

 

Einleitend stellt G. fest, dass Kunstvermittlung im Resonanzraum heutiger Kunstvielfalt und Kunstirritationen einen schweren Stand hat. Nach seinem Befund steckt sie noch in den Kinderschuhen, entwickelt sich jedoch zu einer eigenen und ernstzunehmenden Disziplin. Mit Hilfe einer diskursiven Selbstreflexivität soll diese Entwicklung in die richtigen Bahnen gelenkt werden. Was stellt sich G. darunter vor? Das diskursive Sprechen darüber, wie über Kunst zu sprechen sei, verknüpft G. mit einem idealistischen Appell an die Kommunikationsfähigkeit. Wer Kunst kommentiert, so G., situiert sich im Rahmen eines weitgespannten Kommunizierens nicht nur über Kunst, sondern auch über Kunstvermittlung. Für dieses Konzept eines übergreifenden Diskurses der Kunstvermittlung macht sich G. stark. Sich selbst sieht er in der Rolle eines Kommentators, der die Kunstvermittlung kommentiert, um ihre selbstreflexiven Möglichkeiten spielerisch vorzuführen. Nach G.s Verständnis vollzieht sich Kunstvermittlung in völliger Freiheit, in einem zweckenthobenen Raum des geistigen Austauschs, der auch Selbstkritik ermöglicht. Damit liegt er ganz auf der Linie der systemischen Kommunikation. Unübersehbar durchdringt und bestimmt sie seinen Text, obwohl sie darin nirgends erwähnt wird. Die systemische Kommunikation beruht auf der Auffassung, dass eine sinnvolle zwischenmenschliche Verständigung unabdingbar an die Möglichkeit einer freien und fairen Interaktion gekoppelt ist. Dazu gehört Selbstreflexion ebenso wie Kooperation. Das Individuum handelt nicht isoliert von andern, sondern vernetzt sich mit ihnen und sieht sich als Teilhaber eines Miteinanders, dessen Rollen und Regeln immer wieder neu ausgehandelt werden müssen. Handeln und Kommunizieren werden somit kongruent. Eine gemeinsame Verständigungsbasis kann nur geschaffen werden, wenn die Beteiligten ein gemeinsames Idiom erarbeiten, Handlungs- und Verständigungsspielräume abstecken und allfällige Probleme, die das Kommunizieren behindern, bereinigen. Deshalb geht es hier nicht allein um Informationsaustausch, sondern auch um Empathie, Verhandlungsgeschick, Imagination und Erfahrungswerte. Die systemische Kommunikation, deren Merkmale ich hier natürlich nur ganz grob umreissen kann, geht im wesentlichen auf die humanpsychologischen Denkansätze von Carl R. Rogers zurück und wird schon seit Jahrzehnten in der Gesprächsführung der klientenzentrierten Psychotherapie eingesetzt. Inzwischen ist sie auch bei Unternehmensberatern, Sporttrainern, Kindergärtnern und Kunstvermittlern angekommen. Als Kunstpädagoge (zumindest ist das sein Hintergrund) sieht G. vor allem den systemischen Aspekt seiner beruflichen Praxis und tendiert dazu, die ganze Kunstvermittlung als ein Jekami-Gruppenspiel aufzufassen. G.s Vorstellungen drehen sich infolgedessen hauptsächlich um die dialogischen Komponenten dieses Spiels: man spricht über das und das. Man begreift das und das, indem man sich darüber austauscht. Der Kommentar ist für G. eine Sprechweise, die man einsetzt, um die Sicht auf Phänomene zum Zweck eines besseren Verständnisses zu beeinflussen: was idealerweise auf einen Dialog hinausläuft. Der Lehrer kommentiert ein Bild, und die Schüler strecken die Hände hoch, weil sie Fragen haben: eine idealtypische Schulsituation. Lehrer und Schülter treten in einen Dialog. Gemeinsam nähern sie sich dem Lernobjekt, wobei der Lehrer nicht als Allwissender auftritt, sonder als Vermittler, Moderator, Motivator und Wissenskatalysator. G. traut dem Kommentar sehr viel zu. Nicht nur weil er ihn in seiner Masterthesis dazu benutzt, das Kommentieren zu kommentieren, sondern auch deshalb, weil er ihn als erstklassige Kunstvermittlungsmethode sieht. Er nimmt ihn für die seinem Verständnis nach demokratische und frei gestaltbare Kunstvermittlung (Beuys lässt grüssen!) voll und ganz in Anspruch. Man könnte sich fragen, ob das nicht zu kurz greift, ob es zwischen Kommentar und Vermittlung nicht Unterschiede gibt, verfängliche Unterschiede, ob ein Kommentar denn immer vermittelt. Ein Kommentar kann auch irreführend sein, doppelbödig, unbrauchbar, manipulativ oder schlicht autistisch. Kommentare sind nicht selten verwirrender als das, was sie kommentieren. In der zeitgenössischen Kunst hat das freilich System. Ohne verbale Verwischung und Schaumschlägerei wäre ein Grossteil der Kunst kaum zu legitimieren. Kunstkommentare sind ein Paradebeispiel dafür, wie man mit Sprache Eindruck schinden kann, ohne etwas Sinnvolles zu sagen. Über Kunst zu schreiben und zu reden, ähnelt dem Vogelgesang. Man markiert damit ein Revier und wirbt Interessenten an, ist aber eigentlich nicht an Kommunikation interessiert. Dazu kommt die Instrumentalisierung. Kunstvermittlung ist fast nie unabhängig - und schon gar nicht neutral. Sie beruht auf primitivster Günstlingswirtschaft. Kunst wird nicht aus Idealismus vemittelt, sondern aus handfesten finanziellen und karrieretechnischen Interessen. Dabei geht es nicht in erster Linie um die Künstler. Mit ihren Dienstleistungen verteidigen und erhalten die Kunstvermittler vor allem die eigenen Privilegien, schaffen Mandate und Kooptationen in eigener Sache, knüpfen Insider-Netzwerke, die vor allem dazu da sind, den branchenüblichen Exklusivanspruch nach aussen abzusichern. Mit ihren Jurys besetzen sie wichtige Schlüsselstellen und degradieren die Künstler zu Marionetten eines Kunstförderungssystems, das einen geschlossenen Regelkreis aus Selbstaffirmation, Claquerismus und Feedback aufrecht erhält. Kunst etabliert sich mit Hilfe eines Supports, der seine Deutungsmacht demokratisch legitimiert: ein Scheinmanöver. Ein Politiker kann abgewählt werden, ein Künstler nicht. Was sich in der Szene einmal etabliert hat, ist kaum noch angreifbar. Ausstellungen mit sogenannt neuer Kunst werden so gut wie nie verrissen. Wenn ein junger Künstler das Zugangskriterium erfüllt hat, wird er kaum noch in Frage gestellt. Er geniesst eine Art Immunität. Im Unterschied etwa zum Theater und zur Literatur, wo Verrisse zur Tagesordnung gehören, ist die zeitgenössische Kunst eine heilige Kuh. Sobald der Schriftsteller ein Buch herausbringt, springt er über die Klinge seiner Kritiker; so geht es auch dem Theatermacher, dem Schauspieler, dem Filmregisseur, dem Konzertsolisten und dem Dirigenten. Sie alle stehen permanent auf dem Prüfstand. Dieses Problem kennt der bildende Künstler nicht. Der kann machen, was er will, und es ist immer gut. Die Kunstkritiker buckeln vor dem System, von dem sie sich abhängig wissen, und entblöden sich nicht, den Kuratoren und Künstlern jeden nur denkbaren Gefallen zu erweisen. Tatsächlich gibt es in der Kunst nirgends eine unabhängige Kritik, es gibt keine Korrekturmöglichkeit. Eine Hand wäscht die andere, und alles läuft wie geschmiert. Auf der Jagd nach Fördergeldern, Atelierplätzen, Preisen, Rankingpositionen, Spekulations- und Investitionschancen erweist sich der Kunstkommentar allzu oft als Meinungsmache und Promotion. Denn eines ist klar: der Kunstbetrieb ist nicht halb so offen, wie er sich gibt, er ist eine hermetische Angelegenheit. Und die meisten seiner Entscheidungsprozesse ergeben sich aus pekuniären Selbsterhaltungsstrategien. Kommunikation hat hier immer einen machtstrategischen Hintergrund. Diesen Faktor übersieht G. kategorisch. Mit einer grossen Hauruck-Geste erhebt er die Kunstvermittlung zur Aufklärungsarbeit, die dem hinkenden Kunstverständnis mittels Förderung von Sozialkompetenz und künstlerischen “Soft Skills” unter die Arme greifen soll. In dieser Sichtweise bleiben materielle Erwägungen und Interessen aussen vor. Künstler und Kunstvermittler beschreibt G. als Idealisten und selbstlose Ideen-Players, die sich von Luft und Liebe ernähren und einzig danach streben, in einer kommunikativen Gemeinschaft aufzugehen. Diese Einschätzung halte ich für naiv. G. überträgt das Kindergarten-Konzept auf die Welt der Erwachsenen. Vermittlung und Kunstschaffen bilden bei ihm eine zauberhafte Symbiose und bewahren sich eine Unabhängigkeit, in der sich gleichberechtigte Subjekte begegnen und austauschen. Darüber würde Foucault lachen! Der Kunstdiskurs, betrachtet man ihn als gesellschaftliche Realität, entpuppt sich als eine Form regulierter und regulierender Macht, in die die Vermittlungsinstanzen wohl oder übel verstrickt sind. G. geht vom freien und selbstbestimmten Subjekt aus und verkennt dabei, dass sämtliche Akteure in seinem Kunstvermittlungsspiel auch Objekte sind, “Systemopfer”. Im Spannungsfeld zwischen systemischer Kommunikation, der G. aus Idealismus zuneigt, und der realen strukturellen Macht, die bei den Betroffenen eine strukturelle Blindheit erzeugt, bewegt sich seine Argumentation zuweilen auf recht dünnem Eis. Das Problem ist nicht, dass er den Kunstbetrieb durch die Brille eines an Beuys und Pestalozzi orientierten Kunstpädagogen sieht. Idealismus kann nie schaden. Das Problem ist eher, dass er seine Vision von Kunstvermittlung in das idealisierte Gewand der systemischen Kommunikation kleidet und dabei von Voraussetzungen ausgeht, die er eigentlich hinterfragen müsste. Im realen Kunstgeschehen hat seine Vision keinen Rückhalt. Unter dem Strich wirkt sie blauäugig, weil sie die strukturellen Machtverhältnisse ausblendet. Um meine Kritik zu differenzieren, möchte ich jedem von G.s Kommentaren eine Replik gegenüberstellen. Dabei möchte ich G.s Sicht nicht widerlegen, sondern sie ergänzen, wo sie die Machtverstrickungen der Kunstvermittlung ausklammert oder ungenügend reflektiert.

 

Kunstvermittlung in Museen

 

Was können Museen zur Stärkung der Kunstkompetenz beitragen? G. geht von der Prämisse aus, dass Kunstwerke per se schwer zugänglich sind. Das Ausstellen allein genügt nicht, um sie ins richtige Bewusstsein zu rücken: man muss sie erklären oder doch zumindest auf eine Weise erfahrbar machen, die den Zugang erleichtert. Soweit hat G. bestimmt recht. Dass vor allem spätmoderne und zeitgenössische Kunst wegen ihrer Theorielastigkeit und Konzepthuberei kaum noch verstanden wird, ist völlig logisch und auch allgemein bekannt. Weniger bekannt dürfte hingegen die Tatsache sein, dass die Kunstvermittlung einen riesigen Einfluss auf das aktuelle Kunstschaffen ausübt - und damit eine Selbsterhaltungsstrategie verfolgt, in der es eben nicht darum geht, dem Kunstverständnis auf die Beine zu helfen. Die Kunstvermittlung bedient sich der Kunst, um sich unentbehrlich zu machen. Sie installiert sich als Schalthebel und Impulsgeberin und setzt alles daran, jeden nur denkbaren Bereich des Kunstbetriebs zu “coachen”. Besonders stark bemerkbar macht sich diese Einflussnahme dort, wo Kunst erst am Entstehen ist: bei der Förderung aufstrebender Künstler. Dort sind die Einflussmöglichkeiten der Theoriebildung am grössten: es ist noch nichts Vorgefertigtes da, die Meinungen sind noch nicht gemacht. Umso mehr wiegt die Meinung dessen, der sich als kompetent ausweisen kann. Aufgrund seiner offiziell herausgestellten und gesellschaftlich anerkannten Kompetenz kann er die Künstler bändigen und an die Kandare nehmen wie wilde Tiere, die man domestizieren muss. Das Sagen hat immer der Theoretiker, nicht der Künstler. In der zeitgenössischen Kunst behauptet die Theorie das Primat, während das, was gezeigt wird, eben die Kunst, nur eine Begleiterscheinung darstellt. Die Kunst illustriert die Theorie, nicht umgekehrt! Dies müsste man dem Publikum erklären. Und desweitern müsste man erklären, dass man als Kunstvermittler eigentlich derjenige ist, der die Kunst “erschafft”. Der Künstler hat seine Autonomie und Souveränität abgegeben, im “Betriebssystem” Kunst kommt ihm lediglich die Aufgabe zu, das Kunsterklärungsgebäude mit Anschauungsmaterial auszustatten. Eine ehrliche Kunstvermittlung müsste diesen Mechanismus offenlegen. Damit würde sie jedoch das Publikum enttäuschen und die eigene Selbsterhaltungsstrategie untergraben. Um letztere zu stärken, hat man die Museumspädagogik erfunden. G. sieht in ihr das Patentrezept für gelingende Kunstvermittlung, verkennt aber den Illusionismus, mit dem Museumspädagogen das Publikum einwickeln. G. möchte, wenn auch mit den besten Absichten, das Publikum ebenfalls einwickeln; er möchte es dahin bringen, dass es weiterhin die alten Künstler-Mythen bestaunt, Giacomettis verzweifeltes Ringen als beispielhaft für künstlerisches Arbeiten begreift und wennmöglich auch noch dem armen Van Gogh zuschaut, wenn der sich im Farb- oder Absinthrausch ein Ohr abschneidet. Das ist ja alles so tiefmenschlich und wunderschön zum Erklären und Zeigen. Aber es ist eine Wunschwelt. Einerseits die Wunschwelt des Kunstvermittlers, der nach griffigen Formeln sucht, andererseits die Wunschwelt des Publikums, das von seinen eingefahrenen Erwartungen nicht loskommt. Damit berühren wir einen wichtigen Aspekt der systemischen Kommunikation. Kommunikation gelingt, wenn bei beiden Kommunikationspartnern Einigkeit über den Inhalt des Kommunizierens herrscht. Kommunikation misslingt, wenn ein Kommunikationspartner Botschaften aussendet, die vom Empfänger nicht interpretiert werden können, weil sie Sachinformationen enthalten, die zu weit vom Erwartungsschema abweichen. Daraus folgt, dass der Kunstvermittler immer nur das erklären und vermitteln kann, was beim Kunstpublikum ankommt. Es wäre sinnlos, einem Hamster die Gesetze der Arithmetik zu erklären. Wenn Kunstvermittlung gelingen soll, muss sie sich dem Publikum anpassen: seinen Wünschen, Erwartungen und Illusionen. Das heisst, es gibt keine Kunstvermittlung, die mit Erfolg aus dem Erwartungsschema ausbrechen könnte. Sie fördert Auffassungen, die schon da sind. Alles andere würde auf eine für beide Seiten unangenehme Konfrontation hinauslaufen. Feinfühlige Anpassung gewährleistet, dass die Kommunikation - das Verständigungsschema - intakt bleibt. Aus diesem Dilemma wird die Kunstvermittlung nie herausfinden: was G. allerdings unterschlägt. Seine Museumspädagogik funktioniert nur auf der Basis von Entertainment und kollektiver Kuschelei.

 

Elitäre Kunstvermittlung

 

Ausgehend von statistischen Erhebungen bestätigt G. das weitverbreitete Klischee, dass die meisten Museumsbesucher überdurchschnittlich gebildet sind. Den Witz kennen wir alle: wenn die Putzfrau nicht richtig instruiert ist, beschädigt sie mit dem Wischlappen eine Beuys-Installation, weil sie meint, der vom Künstler hinterlassene Fettklumpen sei ein Stück Dreck. G. führt aus, dass sich die Museen redlich bemühen, von ihrem elitären Status wegzukommen und auch die “unteren” Bildungsschichten anzusprechen. Dabei lässt er es jedoch bewenden. Dass hier ein seltsamer Umkehreffekt entsteht, eine Paradoxie, gerät ihm völlig aus dem Blick. Die Agenten des Elitären zielen aufs Massenpublikum! Bildungsgüter werden verramscht, das einst den Bildungseliten vorbehaltene Wissen wird in Form von süssen und bunten Pastillen unters Volk gebracht. Um das Museumsangebot breiteren Bevölkungssegmenten zu öffnen, setzt das Museumsmarketing zwei Waffen ein: einerseits wird die Konsumzone ausgeweitet und zum Erlebnisraum gemacht. Museen ähneln zunehmend den Vergnügungsmeilen von Las Vegas. Andererseits wird die Kunst massentauglich und werbewirksam aufbereitet, sei es als Merchandising, in Workshops, Sonderevents oder Blockbuster-Ausstellungen (Beyeler-Effekt). Leider bringt G. diese Entwicklung überhaupt nicht zur Sprache. So wird auch nicht ganz klar, warum sich Experten (wie von G. erwähnt) von der Museumspädagogik abwenden. Nur weil sich Museen als Bildungsanstalten ausgeben, sind sie noch lange keine gemeinnützigen Institutionen. G.: “Bildung muss vom Markt unabhängig sein und darf nicht zum Event mutieren.” Ja, das wäre schön. Auch hier wieder kommt das Ideal nicht gegen die Realität an. Museen handeln unter ökonomischem Zwang. Die Konkurrenz, gegen die sie antreten müssen, ist gewaltig. Das Freizeitangebot explodiert. Angesichts dieser Situation kann von einer Wahlfreiheit keine Rede sein. An ihr hält G. jedoch fest: “Langfristig muss sich die Kunstvermittlung entscheiden, wem sie sich gegenüberstellen will, wen sie bilden will und was sie bieten kann.” Da sich Museen (wie die meisten Institutionen) in einer von Konkurrenzdruck und Angebot und Nachfrage determinierten Wirtschaftsordnung situieren müssen, sind solche Entscheidungen schon gefällt, bevor sie überhaupt diskutiert werden. Die Entwicklung offensiver Anreizstrategien entspricht überdies einem allgemeinen Trend. Soziologisch gesehen befinden wir uns in einer interessanten Umbruchsphase. Die strukturelle Ungleichheit, wie sie in den kulturellen Standardisierungen der verschiedenen Gesellschaftsklassen zum Ausdruck kommt, beginnt sich aufzuweichen. Das heisst, soziale Ausgrenzungsmechanismen werden ausgehebelt, und nicht etwa durch ein Gleichbehandlungsgesetz, sondern durch die systematische “Aldisierung” des Marktes. Wenn man für 150 Franken nach London fliegen kann (Tate Gallery inklusive) und mit dem Freizeitpass verbilligt Zutritt bekommt zu den Schätzen unserer regionalen Kultur, kann von einer materiell bedingten Exklusion keine Rede mehr sein. Kultur ist wie die Mobilität ein Billiggut geworden. Noch nie in der Geschichte der Menschheit sind Kultur und Bildung so leicht und schnell zugänglich gewesen wie heute, auch dank Internet. Die Folge davon ist vermutlich nicht ein Zuwachs an Bildung, sondern eine Nivellierung des Bildungsangebots. Vor diesem Hintergrund wird sich die ganze Museumslandschaft neu ausrichten müssen. G.s Blinkwinkel beschränkt sich zu sehr auf die Kunstvermittlung. Diese besitzt nicht im entferntesten die Eigenständigkeit, die er ihr zuschreibt, und wohin sie sich entwickeln wird, hängt von sehr komplexen gesellschaftlichen Faktoren ab.

 

Mitmachen und Mitdenken

 

Kunstwerke, die wir nach den Anweisungen und Vorgaben des Künstlers mitgestalten, lassen uns keine wirkliche Freiheit. Sie nötigen uns ein fertiges Handlungsschema auf, beanspruchen unsere Intelligenz und Kreativität nicht viel stärker als ein Multiple-Choice-Spiel. Mit dieser Feststellung macht G. eine wichtige Unterscheidung. Zur echten Partizipation gehört die Regel, dass das Spielfeld offen ist und sich durch jede Mitgestaltung auf eine Weise verändern kann, die nicht kalkulierbar, nicht vorhersehbar ist. Als Beispiel für gelungene Kunst-Partizipation beschreibt G. das Projekt “Bataille Monument” von Thomas Hirschhorn. G. ist überzeugt davon, dass diese Form der Partizipation auch in der Kunstvermittlung Blüten tragen könnte. Als Mitglied einer selbstbestimmten Kreativcrew soll der Rezipient zum Kunstschaffenden erhoben werden. Partizipation ist auch in der systemischen Kommunikation das A und O: man bringt sich ein und kooperiert. Verschiedenste Anliegen und Interessen kommen zusammen und werden ausbalanciert. Oder was wohl häufiger vorkommt: sie bleiben different. Meinungsverschiedenheiten und Widersprüche gilt es auszuhalten, Nicht-Eindeutigkeit ist die Norm. Wie hat das Hirschhorn bewältigen können? Natürlich, Hirschhorn ist Künstler, und als Künstler darf er Risiken eingehen, die ein Kunstvermittler tunlichst vermeiden sollte, wenn er seinen Job nicht verlieren will. Da stellt sich denn auch die Frage, ob sich die Versuchsanordnung eines künstlerischen Experiments so ohne weiteres auf die Kunstvermittlung übertragen lässt. G. möchte die Grenze zwischen Kunst und Kunstvermittlung aufheben: ein abenteuerliches Unterfangen. Für den Kunstvermittler, der auf dem Robinsonspielplatz seines mitmachfreudigen Kollektivs gleichzeitig Künstler, Kunstvermittler, Spielgruppenleiter, Moderator und Mediator sein muss, eine echte Herausforderung. Wenn es da nur nicht zu Mord und Totschlag kommt.

 

Achtung: Kunstvermittlungsförderung

 

Kunst- und Kulturförderung ist dort sinnvoll, wo sie, anstatt flächendeckend zu fördern, gezielt ein Zeichen setzt. Vielleicht geht es da mehr um die Geste als ums Geld. Wenn der Staat seine Kulturgelder verteilt, tut er dies nicht als unparteiische Instanz, er ist kein Schiedsrichter, er ist immer parteiisch und deshalb anfechtbar. Er kann gar nicht anders als sich einmischen. Er muss Prioritäten setzen, Wertungen vornehmen, Innovationen fördern. Insofern kann ich gut nachvollziehen, dass das Präsidialdepartement der Stadt Zürich bei der Vergabe des Stipendiums für Kunstvermittlung Wert darauf legt, das Geld in Vermittlungsformen fliessen zu lassen, die bisher noch wenig Aufmerksamkeit erfahren haben. In diesem Punkt würde ich G. widersprechen. Kunstvermittlung, die den institutionellen Rahmen verlässt, kann und muss ihre Möglichkeiten noch ausloten. G. wirft den Verantwortlichen vor, sie würden die Museen und somit die bewährten Vermittlungsformen vernachlässigen. Natürlich kann man das bedauern, aber bedauerlich ist sicher auch die Tatsache, dass die meisten Museen ausserstande sind, sich selbst zu finanzieren. Dass man staatlicherseits Kulturaktivitäten fördert, die ein Nischendasein führen und kaum ein Publikum haben, verstehe ich ohne weiteres. Aber wenn der Staat sich mit seiner Geldspritze in die museumsinterne Kunstvermittlung einmischt, was leider gar nicht so selten vorkommt, tut er gut daran, sich das doppelt und dreifach zu überlegen. Kunstvermittlung ist ein Instrument, das dazu taugen sollte, ein Publikum zu erreichen, und gerade von Museen wird Kunstvermittlung sehr gezielt als Marketinginstrument eingesetzt. Es hat doch etwas Absurdes, wenn der Staat Marketingabteilungen subventioniert! Damit signalisiert er ja indirekt, dass diese schlecht arbeiten. Natürlich geht es hier nicht nur um Punktuelles. Kultursubventionismus ist grundsätzlich ein Problemfeld, für viele auch eine Tabuzone, vor allem auch deshalb, weil hier die Frage nach der Notwendigkeit ins Leere läuft. Wieso legt man so grossen Wert darauf, dass der Staat die Spielwiese einer Happy few finanziert - und findet es andererseits überhaupt nicht anstössig, dass das Gesundheitssystem unberechenbaren Marktgesetzen unterworfen ist? Warum wird ein Theaterbesuch höher gewichtet als eine Krebsbehandlung? Selbstverständlich lässt sich die Begünstigung des Kulturellen leicht begründen. Anspruchsvolle Kultur ist auf dem freien Markt nun mal nicht überlebensfähig. Das Theater kommt nicht gegen das Fernsehen an, das Museum nicht gegen den Europa-Park. Doch das Argument zieht nicht. Staatliche Kulturförderungen sind in der Regel sehr einseitig, ja willkürlich. Man stelle sich vor, der Staat würde die Marketingstrategien einer Buchhandlung mitfinanzieren, Strategien, die der allgemeinenen Leseförderung dienen, also kulturell wertvoll sind. Nein, hier scheint der Fall klar. Buchhandlungen müssen sich selber finanzieren. Letztlich geht es um ihren Umsatz, ihren Profit. Warum sollen Museen eine Sonderbehandlung erhalten? Weil sie einen öffentlichen Auftrag haben? Weil sie Kulturschätze verwahren? Archivfunktionen erfüllen? Weil sie (in den meisten Fällen zumindest) nicht rentieren? Aber Buchhandlungen rentieren auch nicht. Sie kämpfen um ihr Überleben, strampeln sich ab, staatliche Unterstützung bleibt ihnen versagt. Hier kommen wir sehr schnell zur Frage, wie und wo die Grenze zwischen öffentlichem Interesse und Privatwirtschaft zu ziehen sei. Wohin gehört eine kulturelle Einrichtung? Was macht sie schützenswert? Nach welchen Kriterien soll die öffentliche Hand eine kulturelle Schutzzone einrichten? Letztlich ist das eine Frage nach politischen Wertsetzungen und struktureller Macht. Da G. die realpolitische Sphäre nur als Deus ex machina ins Spiel bringt, vermag seine Argumentation nicht wirklich zu überzeugen. Sie hängt in der Luft.

 

Bildungslandschaft

 

Am Lehrplan 21 bemängelt G., dass der herkömmliche Werkunterricht mit seiner Betonung der Handarbeit einer “neuzeitlichen” Ausrichtung der ästhetischen Erziehung weichen muss. Vereinfacht gesagt: es wird nicht mehr gebastelt, es wird designt und theoretisiert. Die Vernachlässigung des Handwerks (Umgang mit Materialien, Werkzeuggebrauch etc.) betrifft natürlich nicht nur den Lehrplan 21 und die Grundschulen: das geht hinauf bis zu den Kunsthochschulen. Diese Entwicklung hat schon vor langer Zeit eingesetzt. Als man an den Kunsthochschulen die Fachklassen abgeschafft hat, war das der erste Schritt zur Ächtung des Handwerks zugunsten der Theorie. Für einen Bildhauer war es plötzlich schwierig, sich über sein Handwerk zu definieren. Die Bauhaus-Ideologie mit ihrer Wertschätzung des Handwerks wurde vielerorts fallengelassen. Stattdessen übernahmen die Kunsttheoretiker das Regime. Kunst wurde zur Denkarbeit erklärt. Im Extremfall führte das dazu, dass die Künstler nur noch Konzepte entwickelten und die materielle Ausführung der Arbeiten bei Firmen in Auftrag gaben. Jeff Koons hat dieses Prinzip auf die Spitze getrieben. Wie bei jeder Entwicklung gibt es auch hier Schatten- und Sonnenseiten. Die Aufwertung der Theorie befähigt viele Künstler, sich flexibler zu verhalten, was sich unter anderem darin äussert, dass sie häufig mit unterschiedlichen Medien arbeiten. Wenn man sich aber an den Kunsthochschulen umschaut, gewinnt man sehr schnell den Eindruck, dass viele Maler nicht malen können und viele Bildhauer nicht wissen, wie man mit Hammer und Meissel umgeht. Vielseitigkeit verkommt zu Oberflächlichkeit, und häufig dient die Theorie nur dazu, handwerkliches Unvermögen zu bemänteln. (“Trash-Art”) Die künstlerischen und gesamtgesellschaftlichen Fragen, die der Lehrplan 21 aufwirft, kommen bei G. leider kaum zur Sprache. Ich möchte hier einen Text von Foucault zitieren (“Überwachen und Strafen”, 1977), um zu verdeutlichen, in welcher Hinsicht der Paradigmenwechsel in der Kunsterziehung interessant sein könnte: “Man muss wohl einer Denktradition entsagen, die von der Vorstellung geleitet ist, dass es Wissen nur dort geben kann, wo Machtverhältnisse suspendiert sind... Eher ist wohl anzunehmen, dass die Macht Wissen hervorbringt...; dass Macht und Wissen einander unmittelbar einschliessen; dass es keine Machtbeziehung gibt, ohne dass sich ein entsprechendes Wissensfeld konstituiert, und kein Wissen, das nicht gleichzeitig Machtbeziehungen voraussetzt und konstituiert.” Das Machtsystem “Kunst” wird einerseits vom Markt reguliert, andererseits von Experten, die die Deutungshoheit ausüben. Das sind die Theoretiker, und zu ihnen gehören auch die Vermittler. Da es in der Postmoderne im Unterschied zu früheren Epochen kein einheitliches und für alle lesbares Zeichensystem mehr gibt, keine übergreifenden Stilmerkmale, keine fest umrissenen ästhetischen Ideologien und Auffassungen, muss der Theoretiker fortwährend Zuordnungs- und Bestimmungskriterien bereitstellen, die den geistigen Umgang mit Kunst überhaupt erst ermöglichen. Deshalb ist die Bedeutung des Theoretikers in den letzten dreissig Jahren kontinuierlich gestiegen. Im Kunstbetrieb ist er der geistige Machthaber, während der Künstler, sofern er nicht selber zum Theoretiker wird, in vorauseilendem Gehorsam genau die Werke schafft, die der Theoretiker braucht, um sich als Theoretiker profilieren zu können. Dass die Machtstrukturen, die sich hier etabliert haben, ihren Widerhall im Bildungskonsens finden, ist eigentlich logisch. Wissen setzt Machtbeziehungen voraus und konstituiert sie. Jede Bildungsreform macht das deutlich. Vielleicht sollte G. mal Foucault lesen: Kunstvermittlung und Bildung haben immer mit ganz realen Machtverhältnissen zu tun.

 

Jeder ist ein Kunstvermittler

 

Hier spricht G. ein Problem an, dem man zynisch, abgeklärt oder verständnisvoll begegnen kann, verdrängen lässt es sich kaum. Die ART und andere Kunstevents der Megaklasse erwecken den Anschein, als lebten wir in der kreativsten Epoche seit der Renaissance. Die Kunstbranche prosperiert, es wird so viel und so gewinnbringend Kunst produziert wie niemals zuvor. Doch der Schein trügt. Mit dem Schwinden der Avantgarde hat die bildende Kunst ihre Innovationskraft verloren. Ideell befindet sie sich im Zustand eines Total-Ausverkaufs. Materiell ist sie eine Wachstumsbranche. Diese Diskrepanz ist derart schlagend, dass man an ihr verzweifeln könnte. Ich visiere hier den Kunstbetrieb an, weil G. in seiner Bestandesaufnahme das Hauptgewicht auf den Rezipienten und seine Ratlosigkeit legt, die, wie ich finde, nicht verständlich wird, wenn man die aufgeblasene Leerlauf-Ästhetik der Gegenwartskunst und die prekäre Widersprüchlichkeit des Kunstbetriebs ausblendet. In diesem Punkt hätte G. ruhig ein bisschen angriffiger sein dürfen. Wer sich beim Betrachten eines zeitgenössischen Kunstwerks als Idiot vorkommt, ist eigentlich sehr intelligent. Zumindest hat er begriffen, worin seine Rolle besteht. Und hier kommt nun die Kunstvermittlung ins Spiel. G. sagt völlig zu Recht, dass die Kunstvermittlung überbordet. “Was für eine Botschaft wird mit der omnipräsenten Kunstvermittlung den Kunstschaffenden gegeben? Und was ist das für eine Botschaft an das Publikum?” Die Frage meinerseits lautet: gibt es denn überhaupt eine Botschaft? Auch hier denkt G. wieder in den Kategorien der systemischen Kommunikation, anstatt sich zu fragen, welche Machtmechanismen denn eigentlich hinter dieser Omnipräsenz wirksam sind. Was wir heute in der Kunst erleben, ist das Ergebnis einer breit abgestützten Selbstlegitimation. Da die Kunst ihre avantgardistische Spitzenposition eingebüsst hat und an den Rand der Bedeutungslosigkeit gedrängt worden ist, muss sie ihre Legitimation quasi künstlich herstellen: mittels Theorie, Verwaltung, Institutionalisierung, Kunstförderung und Markt. Ein Kunstwerk, das seine Relevanz nicht aus einem avantgardistischen Anspruch ableiten kann, braucht die Legitimation einer theoretischen Kontextualisierung. Deshalb kommt der Kunstvermittlung eine zentrale Rolle zu. Aber Kunstvermittlung hat auch eine psychologische Funktion. Man könnte sagen, eine Klammerfunktion, die umso nötiger ist, als sich Kunst, gepusht durch den globalisierten Markt, im öffentlichen Bewusstsein zu einer massenmedial zelebrierten Lifestyle-Attitüde entwickelt hat. Die psychologische Eigendynamik des Kunstbetriebs, der vielen Menschen einen Distinktionsgewinn verspricht, darf man nicht unterschätzen. Kunst zehrt immer noch von ihrem vergangenen Nimbus. Wer sich mit Kunst befasst - sei es als Sammler, Kurator, Vermittler, Künstler oder Ausstellungsbesucher - zählt sich zum Verein der geistig Aufgeschlossenen und ästhetisch Gebildeten. Dass dieses Zugehörigkeitsgefühl nicht automatisch Kunstkompetenz erzeugt, ist klar. Das ist ähnlich wie beim Fussball: die Zuschauer eines Fussballspiels fühlen sich als Sportler und spielen sozusagen mit, auch wenn die meisten von ihnen nur gerade insofern etwas von Fussballspielen verstehen, als sie im Hobby-Keller den Töggelikasten bedienen können. Es geht eben um die Distinktion, die Zugehörigkeit, das besondere Feeling, den Kult um die glorifizierte Sache. Fussballfans und Kunstliebhaber glauben an etwas völlig Irrationales, und in beiden Bereichen gibt es die sogenannten Experten, die Fussballreporter und Kunstvermittler, die das Irrationale deuten und in Worte kleiden und für die Involvierten eine Kommunikationsbasis errichten. Dies wäre der Ansatz der systemischen Kommunikation: hier hat die Kunstvermittlung (vermeintlich) die Aufgabe, die Ratlosigkeit des Einzelnen aufzubrechen und Anstösse zu einer Verständigung zu geben. Dies ist der Punkt, wo ich dann wieder mit G. zusammentreffe, ihm aber auch widersprechen muss. Ich glaube nicht, dass Kunstvermittlung derart umfänglich den Prinzipien der systemischen Kommunikation entspricht, wie G. sich das ausmalt. Ich glaube auch nicht, dass sie - ausser in einigen geschützten schulischen Winkeln - dieses Ideal jemals erreichen wird. Es liegt einfach nicht in der Natur der Sache. Das Sprechen und Schreiben über Kunst hat eher liturgischen als kommunikativen Charakter. (Ähnlich wie die Berichterstattung über Sportereignisse). In seine Argumentation bringt G. nun eine interessante Wendung hinein: mit Blick auf den Status Quo behauptet er nämlich, dass die Kunstvermittlung den Rezipienten entmündigt. Sie nimmt ihm die Mühe ab, sich aus eigener Kraft einen Zugang zu schaffen. Mit dieser Feststellung bricht G. aus dem Schema der systemischen Kommunikation aus und wendet sich dezidiert dem Machtgefälle zu, das den Kunstbetrieb hierarchisch konstituiert. Endlich! Hier könnte nun eine Analyse der Machtstrukturen ansetzen: Rezipienten, Künstler, Theoretiker und Vermittler als Akteure in einem sich selbst erhaltenden Kunstlegitimationsspiel, in welchem alles vom Markt und der Deutungshoheit abhängt - und die Unwissenheit des Rezipienten geradezu die Voraussetzung dafür bildet, dass er neugierig bleibt und sich ein X für ein U vormachen lässt. G. überspringt zwar die Analyse, trifft den Nagel aber doch auf den Kopf: der mündige Rezipient braucht keine Kunstvermittlung. Das wäre ein guter Schlusspunkt gewesen, eine definitive Absage. G. geht aber noch einen Schritt weiter und fällt prompt in die Versöhnungsstimmung der systemischen Kommunikation zurück. “Beuys würde die KünstlerInnen auffordern, die Vermittlung wieder in ihr Repertoire aufzunehmen. Sie haben mit ihren Werken ein Instrument in der Hand, das sich bestens für die Vermittlung ihrer Gedanken und Gefühle eignet.” Also braucht es doch eine Art Kunstvermittlung? Und Beuys soll dafür Pate stehen? Ausgerechnet Beuys? Der selbsternannte Weltverbesserungsprophet mit den konfusen Kunsterklärungen und dem affektierten Getue eines Schmierenschauspielers? Beuys, der Schreckgeist aller seriösen Kunstvermittler? Sieht G. den Umgang mit Kunst als Gruppentherapie, den Kunstraum als soziopsychologische Bauchgefühlsschwurbelei? Dann könnte Beuys in der Tat ein Vorbild sein. G. deutet verschiedene Optionen an. Einerseits sollen die Künstler ihre Vermittlung selber in die Hand nehmen, andererseits sollen die Kunstvermittler “Brücken bauen” und - ganz im Sinne der systemischen Kommunikation - die Kreativität, Initiative und Phantasie des Rezipienten nicht unterdrücken oder gewaltsam kanalisieren, sondern partnerschaftlich unterstützen. Das wäre demnach ein Kompromiss. Der unmündige Rezipient findet zur Mündigkeit durch aktive Teilhabe. Ein schöner Gedanke. Aber sehr theoretisch. Und hier fängt das Problem eigentlich erst an.

 

Natürlich kann man von G.s Kommentaren nicht verlangen, dass sie die Probleme, die sie berühren, analytisch aufschlüsseln oder gar zu lösen versuchen. Dafür ist der Kommentar nicht das geeignete Instrument. G. schreibt mit einer gewissen Beiläufigkeit, was der Textform, die er gewählt hat, angemessen ist. Er benennt die Probleme, umreisst sie, bietet jedoch keine fertigen Antworten. Er darf das. Der Kommentator darf am Rand bleiben, seine Beobachtung darf schweifen, und hier darf denn auch vieles offen bleiben. Was den Inhalt betrifft, setze ich dort meine Fragezeichen, wo G. in Verkennung der Realität Idealbilder kommentiert. Immer wieder verfängt er sich in einem Denk- oder Wunschmodell, das den Vorgaben der systemischen Kommunikation entspricht. Das Problem dabei ist, dass sich die systemische Kommunikation an der Realität bewähren muss. Sie ist immer mit strukturellen Machtverhältnissen konfrontiert. Ein Aspekt, den G. vernachlässigt. In seinen Kommentaren gibt er sich idealistisch. Das ist sympathisch, macht aber auch ein bisschen beklommen. Die Realität holt uns doch immer wieder ein.

In einem Punkt muss ich G. allerdings zustimmen. Obwohl er die Künstler am liebsten zu Pädagogen umfunktionieren würde, behält er diesbezüglich doch eine gewisse Skepsis. Vielleicht hat er da auch schon so gewisse Erfahrungen gemacht. Es kommt nicht immer gut heraus, wenn sich Künstler als Kunstvermittler betätigen. Ist von Künstlern ausserhalb ihrer Werke überhaupt irgendetwas Sinnvolles über Kunst zu erfahren? Willem de Kooning hatte darauf eine gute Antwort: “Würde ich mit meinen Freunden über Kunst reden, hätte ich bald keine Freunde mehr.”

 

2011