Blasphemie

 

 

Darf man sich über Mohammed, Jesus und den Papst lustig machen? Die Klärung eines Standpunkts.

 

Der Säkularismus ermöglicht ein friedliches und faires Zusammenleben auf der Basis von Vernunft und universellen Menschenrechten. Irrationale Haltungen und totalitäre Ansprüche werden ausgerenzt oder aufgeweicht. Somit werden Religionen zu etwas zurechtgestutzt, das ihrem Anspruch eigentlich zuwiderläuft: sie werden zur Privatsache und müssen es verkraften, dass man ihnen den Zutritt zum Cockpit verwehrt. Sie dürfen mitfliegen, aber nicht das Steuer übernehmen. Auf dem Markt der Weltbilder fügen sie sich - meist zähneknirschend und nicht ohne Substanzverlust - in das gängige Sortiment der Sinnangebote ein. Sie präsentieren sich gleich neben der Esoterik und dem Psycho-Wellness-Bereich. Doch Pluralismus bedeutet nicht, dass man alles relativiert, alles als gleichwertig betrachtet. Zum Wohle des Ganzen gibt es auch in der liberalsten Gesellschaft eine klare weltanschauliche Hierarchie. Auch wenn es uns häufig so vorkommt, als würde unsere Gesellschaft im Autopilot fliegen, muss doch jemand im Cockpit sitzen. Neben dem aufgeklärten, pluralistischen Rationalismus, der als Grundlage demokratischer Gesellschaften das Eichmass bildet, nach dem sich alles auszurichten hat, was sich in diese Gesellschaft einbringen will, müssen sich irrationale Ideologien und Traditionen fortwährend hinterfragen, relativieren und zurückstufen lassen. Sie schwimmen gegen den Strom. Je irrationaler ihre Ausrichtung, desto eher riskieren sie, an den Rand gedrängt zu werden: eine legale und notwendige Form der Diskriminierung. Den Vertretern irrationaler Ideologien ist kaum je bewusst, dass sie ihre Existenzgrundlage ausgerechnet jener Geisteshaltung verdanken, die sie nach Kräften verteufeln: dem säkularistischen Rationalismus. Ohne ihn würden sie sich gegenseitig den Krieg erklären - und ihn wohl auch führen. Man stelle sich vor, jede Glaubensgemeinschaft könnte buchstabengenau in die Tat umsetzen, was die jeweiligen heiligen Texte und Regelwerke vorschreiben. Evangelikale, Salafisten, Scientologen, Opus-Dei-Katholiken, Mormonen, Zeugen Jehova: würden wir alle diese “Spinner” frei schalten und walten lassen, hätten wir innert kürzerster Zeit den grössten Krawall. Dass es nicht soweit kommt, verdanken wir dem Säkularismus. Dank dem auf rationalen Prämissen aufbauenden Grundgesetz geniessen alle diese Gruppierungen staatlichen Schutz, auch vor den eigenen Kamikaze-Gelüsten und Allmachtsphantasien. Die rationalistische Konsensfähigkeit westlicher Demokratien garantiert ein annähernd friedliches Zusammensein unterschiedlichster Individuen und Haltungen. Allein schon deshalb sind die geistigen Präambeln dieser Konsensfähigkeit nicht relativierbar. Ohne den gemeinsamen Nenner der Vernunft gäbe es keinen Pluralismus, keinen Frieden in der Vielfalt und keine Freiheit auf der Grundlage gegenseitiger Rücksichtnahme. Unsere Gesellschaft hat diese Logik verinnerlicht. Was auf konsensfähiger Rationalität aufbaut, wird ernst genommen und gilt als diskutabel; was sich dieser Rationalität verweigert, muss es sich gefallen lassen, auf die hinteren Ränge - oder in die Schmuddelecke - verbannt zu werden. Zugegeben, diese Zurückstufung widerspricht dem Ideal von Gleichbehandlung, sie ist ungerecht. Aber sie sichert den Frieden. Sie ist der einzige Grund, weshalb Religionen in einer säkularen Gesellschaft überhaupt zugelassen sind. Sie sind domestiziert, auf Vernunft und Pluralismus getrimmt. Selbstverständlich tun sie sich schwer damit. Religiöse Menschen kann man unmöglich davor bewahren, sich auf irgendeine Weise gekränkt zu fühlen. In genau dem Masse, wie sie ihren irrationalen Wahrheitsanspruch zur Geltung bringen, werden sie kritisiert und lächerlich gemacht. Darauf - und nur darauf - beruht das Recht auf Religionsfreiheit. Wer das Recht für sich in Anspruch nimmt, unter dem säkularen Schutzschirm religiöse Praktiken und Lehren zu propagieren, die auf historisch überholten, zutiefst archaischen und irrationalen Weltbildern und Lebensentwürfen beruhen, zahlt einen Tribut. Dieser besteht darin, dass man sich hin und wieder als Depp hinstellen lassen muss. Es geht nicht an, dass Aussagen oder Bilder eines irrationalen Wahrheitspostulats für unantastbar erklärt werden. Auch rationale Postulate - etwa in der Wissenschaft - sind nicht unantastbar, im Gegenteil, ihre Revidierbarkeit bildet geradezu die Voraussetzung für den geistigen, wissenschaftlichen und sozialen Fortschritt, den die westlichen Gesellschaften für sich verbuchen können. Selbstverständlich darf man an den Schattenseiten dieses Fortschritts Kritik üben. (Umweltzerstörung, Atomwaffen, kapitalistische Ausbeutung etc.) Unsere Gesellschaft gewährleistet Fortschritt, erlaubt aber auch Kritik an diesem Fortschritt, vorausgesetzt, diese Kritik ist rational begründet. Insofern ist auch Fortschrittskritik Teil des Fortschritts, vielleicht sogar sein wichtigster Motor. Ohne Kritik und Kritikfähigkeit hätten wir keine Wissenskultur, keine Wissenschaft, keine Selbstbestimmung im Sinne der Aufklärung. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen. Umso berechtigter ist Kritik, wenn sie sich gegen irrationale Positionen wendet. Ja, man darf sich über Mohammed und Jesus lustig machen, man darf Religionen und ihre Repräsentanten als lächerlich hinstellen. Dafür gibt es triftige Gründe, und zwar nicht nur aus atheistischer Perspektive. Wer hinter solchen Bestrebungen eine typisch atheistische Position auszumachen meint und von einer “gottlosen Gegenreligion” redet, täuscht sich gewaltig. Das Recht auf Blasphemie muss man in einem grösseren Zusammenhang sehen. Wer Religionen in Frage stellt, will sie ja nicht durch eine alternative Weltanschauung ersetzen. Das Ziel kann nicht eine Ersatz-Religion sein. Ein Atheismus, der diesem grösseren Zusammenhang Rechnung trägt, ist keine Ersatz-Religion, sondern lediglich eine Abrissbirne für Häuser, die zuviel Platz einnehmen. Sofern sich der Atheist auf den Standpunkt stellt, dass Atheismus vor allem mit intellektueller Redlichkeit und weniger mit festen Glaubenssätzen zu tun hat, kann er die von ihm kritisierten oder verspotteten Religionen ganz gut am Leben lassen; er möchte bloss verhindern, dass religiöse Menschen allzu selbstsicher werden. Er sägt ihnen sozusagen die Kuhhörner ab. Kurz gesagt: er kämpft nicht für eine atheistisch genormte Weltanschauung, sondern für eine säkulare Gesellschaft, die den religiösen Pluralismus überhaupt erst ermöglicht. Das Recht auf Blasphemie kommt nicht ausschliesslich den Atheisten zugute. Meinungsfreiheit schützt auch diejenigen, die zwar gläubig sind, aber nicht ganz auf der verlangten Linie: Abweichler, Häretiker, Minderheiten. Das aber bedeutet, dass keine Religion das Recht hat, ihre Schutzwürdigkeit über die Meinungsfreiheit zu stellen. Jede Religion muss sich messen lassen, vor allem auch an sich selbst. Auch INNERHALB einer bestimmten Religion offenbaren sich Widersprüche, Feindschaften und konkurrierende Auffassungen. Diese Divergenz macht deutlich, dass intersubjektive Verbindlichkeit in Glaubensfragen illusorisch ist. Sie ist ein realitätsfernes Versprechen. Ein gefährliches Versprechen, weil Religionen diese Verbindlichkeit vorgaukeln, ohne sie im geringsten garantieren zu können. Wo eine Religion gegründet wird, ist das Schisma schon programmiert. Mit ihren "dogmatischen Abschirmungs-Prinzipien" (Hans Albert) kaschieren religiöse Weltdeutungen Denkfehler, Widersprüche und Auslegungsspielräume, die zu endlosen Streitereien und Gewaltexzessen führen können. Nicht nur zwischen Religionen, sondern auch und vor allem innerhalb ein und derselben Glaubensgemeinschaft. Bei der Frage, ob man religiöse Gefühle verletzen darf, geht es nicht nur um das teure Gut der Meinungsfreiheit und ihre geistigen Voraussetzungen, sondern zum Beispiel auch um die Anmassung fundamentalistischer Christen, die ihre geistige Beschränktheit zum Masstab für Religiosität machen. Wenn diese Christen ihr Fett wegbekommen, was kratzt das meinen Glauben? Die Definitionshoheit über das Christentum sollte man nicht denen überlassen, die es zum Maulknebel und Verhaltenskodex umfunktionieren. Den Glauben gibt es nicht. Niemand darf bestimmen, was als heilig zu gelten hat. Prüfstein für eine Religion sollte also sein, inwieweit sie von ihrem Absolutheitsanspruch abrücken kann. An diesem Punkt wird denn auch der Spreu vom Weizen getrennt. Mit seinen reformatorischen und humanistischen Einsprengseln hat das Christentum gute Chancen, in der heutigen Welt eine halbwegs akzeptable Figur zu machen, im Gegensatz etwa zum Islam, der, wie Voltaire schon sagte, über den Status einer primitiven Kameltreiber-Religion nie hinausgelangt ist. Die Tatsache, dass die mittelalterlichen Muslime eine überlegene Kultur und Zivilisation nach Europa gebracht haben, widerlegt diesen Befund nicht. Die muslimische Kulturblüte ist nicht religiös gewesen. Zum einen haben die muslimischen Eroberer ältere Kulturen einfach annektiert und beerbt, um sie dann jahrhundertelang als islamisch auszugeben, zum andern traten in dieser erfolgreichen Expansionsphase die religiösen und sittlichen Komponenten stark zurück. Im Mittelalter tranken viele Muslime Alkohol, assen Schweinefleisch und spotteten über ihre eigene Religion. Die orientalischen Gebräuche - auch unter gläubigen Muslimen - waren sehr lax. Das ist bezeugt. Der Islam an und für sich ist keine Religion, die irgendeine Form von Toleranz oder Pluralismus zulassen kann. Nicht die Kreuzritter oder die englischen Imperialisten haben die hochstehende muslimische Kultur zerstört, sondern die islamischen Fundamentalisten. Geistigen Fortschritt gab und gibt es im Islam immer nur im Widerstand gegen die Religion. Was ein Stückweit natürlich auch auf das Christentum zutrifft, man denke etwa an den "Sittenzerfall" in der Renaissance. Alles in allem ist das Christentum jedoch viel kulturfreundlicher als der Islam, und der Grund dafür liegt in der christlichen Theologie, die kein Bilderverbot vorsieht und die Bibel als Erfahrungsbericht und nicht als unverrückbares göttliches Diktat verstanden haben will. Was das Christentum aber am vorteilhaftesten vom Islam abhebt, ist die neutestamentliche Trennung zwischen geistlicher und weltlicher Macht: es gibt keine christliche Scharia. Das christlich-römische Recht geht auf die heidnische Antike zurück und hat mit der Bibel so gut wie überhaupt nichts zu tun. Die mittelalterliche Machtstellung der Päpste wurde quasi erschwindelt. Mangels biblischer Legitimation mussten sich die geistlichen Potentaten auf die Konstantinische Schenkung berufen, die bekanntlich eine Fälschung war. Trotz allen qualitativen Unterschieden zwischen den Religionen und angesichts der Tatsache, dass es sehr viele kluge Muslime wie auch sehr viele dumme Christen gibt, muss man doch einräumen, dass es auf die Religionszugehörigkeit vielleicht gar nicht so sehr ankommt. Die Frage ist auch nicht: Religion oder nicht Religion. Gläubig oder ungläubig. Solche Antagonismen sind falsch. Man kann religiös sein und trotzdem ein funktionsfähiges Hirn haben. Allerdings setzt ein solches Hirn den eigenen Glauben nicht absolut. Es kann ihn relativieren. Wer seinen Glauben an das Heilige mit dem Heiligen, an das er glaubt, verwechselt, hat von Spiritualität keine Ahnung. Überhaupt ist Spiritualität kein Vorrecht religiöser Menschen, sie ist etwas Naturgegebenes, und man findet sie auch bei Atheisten.

 

Glauben ist per se nicht unanfechtbar. Ich kann eine Überzeugung haben und sie gegen andere Überzeugungen verteidigen. Aber ich kann niemandem verwehren, meine Überzeugung für bescheuert zu halten. Entscheidend ist letztlich die Stärke des Arguments, nicht die Stärke der Faust oder die Dezibelstärke eines entfesselten Mobs. Unter diesem Aspekt hat der Islam, der nie eine Aufklärung durchlaufen hat und sich von seiner Grundlegung her als Politreligion versteht, nicht den Hauch einer Chance, mit der Moderne kompatibel zu werden. Das gilt übrigens auch für den gemässigten und eher apolitischen Islam: passive religiöse Ignoranz bedeutet noch lange keinen Fortschritt.

Die im Westen allzu häufig vorgenommene Unterscheidung zwischen einem "richtigen" und einem "falschen" Islam, einem humanen und einem inhumanen, einem friedlichen und einem gewalttätigen, einem gemässigten und einem radikalen Islam drückt zwar die sozialpolitisch notwendige Forderung nach einer friedlichen Koexistenz verschiedener Religionen und Konfessionen aus, widerspricht aber eigentlich dem Säkularismus. Mit dieser Unterscheidung wird nämlich impliziert, dass es opportun sei, den gemässigten Islam als förderungswürdig und sogar als politisch relevant einzustufen. Weil er ja angeblich gut ist und einen Schutzwall gegen den andern Islam bildet, den "bösen" Islam. Doch damit macht man einen verhängnisvollen Fehler. Wer eine religiöse Interessengemeinschaft aufwertet und stärkt, nur weil sie friedlich ist, wird früher oder später merken, dass die Trennung zwischen "gemässigt" und "radikal" nicht der Realität entspricht. Je selbstbewusster diese vermeintlich friedliche und förderungswürdige Community wird, desto stärker wird sie sich uns aufdrängen. Desto umfassender wird ihr Anspruch, desto grösser ihr Einfluss, desto radikaler ihr Bestreben, die säkulare Gesellschaft zu kapern und sich in ihr breit zu machen. Ob friedlich oder nicht, ob gemässigt oder radikal: Religionen sind nun mal die grössten Feinde einer freien und säkularen Gesellschaft. Das waren sie schon immer und sind es bis heute. Denn die freie, säkulare Gesellschaft ist nur möglich geworden, weil man den religiösen Machtanspruch gebrochen hat. Oder anders gesagt: weil man die Pfaffen zum Teufel gejagt hat. Auch die gemässigten religiösen Kräfte tendieren zum Radikalismus, sobald man ihnen statt des kleinen Fingers die ganze Hand gibt. Deshalb sollte man es sich schon zweimal überlegen, bevor man diesen Leuten entgegenkommt. Nur weil sie beim Beten keinen Sprengstoffgürtel tragen, muss man ihnen noch lange nicht das Recht einräumen, unsere Gesellschaft mitgestalten zu dürfen. Gott bewahre uns vor denen, die an dich glauben! Die Trennung zwischen "gemässigt" und "radikal" ist absolut kontraproduktiv. Mit der Realität und Logik von Religionen haben solche Kategorien wenig zu tun. In einer säkularen Gesellschaft ist der Glaube grundsätzlich Privatsache, im gesellschaftspolitischen Kontext ein absolutes Un-Thema. Wenn ich an den Osterhasen glaube und daraus die Forderung ableite, dass meine Kinder in der Schulkantine nur noch rohe Karotten auf den Teller bekommen sollten, bin ich, gelinde gesagt, ein bisschen falsch gewickelt. Mit dem Hinweis auf die Privatheit und Subjektivität von Glaubenseinstellungen sollte sich das Thema "Religion" in einer säkularen Gesellschaft erledigt haben. Ein für allemal. Und ohne jede Diskussion. Und damit dürfte auch klar sein, dass wir mit dem "westlichen" Islam und seinen vielfachen Forderungen und Extrawürsten definitiv auf dem Holzweg sind. Und dass sich, allem Wunschdenken zum Trotz, Islam und Dschihadismus nicht so ohne weiteres auseinanderdividieren lassen. Dafür gibt es übrigens genügend theologische und empirische Belege. Die Behauptung, der islamische Extremismus habe nichts mit dem Islam zu tun, unterliegt ungefähr der gleichen Logik wie die Behauptung, ein Orkan habe nichts mit Wind zu tun. (Wobei man einräumen muss, dass nicht jeder Wind ein Orkan ist). Das Christentum hat da die besseren Voraussetzungen: es rettet sich durch seinen Zusammenschluss mit dem aufgeklärten Humanismus. Man kann das Christentum kritisieren, ohne sein Leben aufs Spiel setzen zu müssen. Immerhin. Dass radikale Christen auf die Idee kommen, das Gebot der Nächstenliebe mit Gewalt durchzusetzen, Glaubensabtrünnige umzubringen und wegen irgendeiner Jesus-Karikatur Botschaften anzuzünden, ist in der heutigen Zeit doch eher unwahrscheinlich. DAS ist Fortschritt - und letztlich auch das Verdienst säkularistischer Religionskritik.

 

Wer in einer rationalistischen Gesellschaft (und nur als solche funktioniert unsere Gesellschaft) eine irrationale Position vertritt, exponiert sich, indem er eine “Wahrheit” verkündet, für die es keinen vernunftgeleiteten Konsens gibt. Wenn ich zum Beispiel aufgrund einer LSD-Erfahrung behaupte, dass Gott mir befohlen habe, mit einem Jauchzer göttlicher Erleuchtung über jeden dritten Pflasterstein hinwegzuhüpfen, so behaupte ich etwas, das ausser mir und meiner LSD-Selbsterfahrungsgruppe, sofern sie meine Gottesvorstellung teilt, niemandem wirklich einleuchtet. Selbstverständlich darf es nicht verboten sein, solche Positionen zu vertreten, aber die jeweiligen Exponenten müssen es in Kauf nehmen, dass sie nicht ganz ernst genommen werden. Wenn ich meinen Pflasterstein-Ritus mit einer göttlichen Eingebung begründe, muss ich damit rechnen, dass man mir den Vogel zeigt. Es versteht sich ja wohl von selbst, dass ich, um bei meinem Beispiel zu bleiben, niemandem verwehren darf, meine Blödheit zu kritisieren und mich als Volldeppen hinzustellen. Würde ich auf diese Kritik ebenso beleidigt reagieren wie ein strenggläubiger Muslim auf Mohammed-Karikaturen, so würde ich damit meinen Kritikern noch zusätzliches Wasser auf die Mühle leiten. Ich würde mich vollends entlarven. Natürlich ist das Beispiel mit den Pflastersteinen zu harmlos. Die meisten Religionen kümmern sich ja nicht nur um die kleinen Dinge des Alltags; sie peilen das Grösstmögliche an, die Gesellschaft als Ganzes und die letzten Fragen aller Menschen. Eigentlich eine ungeheuerliche Anmassung! Die meisten Religionen begnügen sich nicht damit, bestehende Zustände zu reflektieren und sie im übrigen so zu belassen, wie sie sind. Religionen wollen sich durchsetzen, sie wollen die Gesellschaft offensiv beeinflussen. Diesen Bestrebungen gilt es ebenso offensiv entgegenzutreten. Religionskritik ist ein tragendes Element jeder säkularen Gesellschaft, die als solche ein vitales Interesse daran hat, irreale, totalitäre und theokratische Bestrebungen zu unterbinden. Das Christentum ist nur deshalb tolerierbar, weil man es in die Schranken gewiesen hat. Katholiken und Protestanten wissen das sehr genau, zu viele Federn haben sie schon lassen müssen. Mit guten Gründen verzichten sie darauf, ihre historisch bedingte Sonderstellung auszunützen. Sie halten sich vornehm zurück, halten sich brav an die Spielregeln. Ausnahmen wie die katholische Entrüstung über die Papst-Sottisen der Satire-Zeitschrift “Titanic” bestätigen die Regel. Die Evangelikalen - die bösen Buben unter den Christen - mucken zwar hin und wieder auf, müssen aber zugeben, dass sie genauso belächelt werden wie die fanatischen Anhänger der Star-Trek-Serie, die als Freaks gelten, weil sie bei ihren Zusammenkünften den Vulkanier-Gruss machen und in nicht ganz strassentauglichen Baumwollanzügen auftreten. Genaugenommen sind die “Trekkies” aber nicht freakiger als Leute, die in Zungen reden, in mittelalterlichen Gewändern das Abendmahl zelebrieren oder komische Ansprachen halten über Gott und Jesus. Was Christen machen und glauben, ist tatsächlich nicht ganz normal. Es ist sogar völlig bescheuert. Würde es zur allgemeinen Norm erhoben, hätten wir ein gesamtgesellschaftliches Irrenhaus. Würden die Geistlichen tatsächlich glauben, was sie predigen, so müsste man sie wegsperren oder zumindest einer medikamentös unterstützten Langzeittherapie unterziehen. Schliesslich glauben auch die eingeschworensten “Trekkies” nicht wirklich, dass sie zur Besatzung eines Raumschiffs gehören, sie spielen nur ein Spiel, und deshalb sperrt man sie auch nicht in ein Irrenhaus. Die Frage, ob man Christen und Muslime in ein Irrenhaus sperren müsste, ist keineswegs zynisch. Wenn Muslime fünfmal am Tag zu Boden fallen, liegt das bestimmt nicht an der Schwerkraft. Und was soll man von Menschen halten, die sich unter seltsamen Beschwörungsformeln den Leib und das Blut eines Gottes einverleiben und anschliessend ganz vernünftig und verantwortungsvoll den Alltag weiterführen, Autos lenken, Medikamente verschreiben, Kinder erziehen etc.? Ist das nicht ein bisschen wie bei Doktor Jekyll und Mister Hyde? Natürlich reden wir hier über symbolische Handlungen, nicht über Magie oder Kannibalismus, und Gott sei Dank ist die Sonntagspredigt weiter nichts als eine erbauliche Märchenstunde. Damit kommen wir zurecht, das können wir verantworten. Die Masstäbe, die man an ein vernünftiges Christentum anlegt, können kaum noch hinterfragt werden - und das ist gut so. Sie sind nicht relativierbar. Vernunftgründe gelten immer und überall, nicht aber Traditionen und religiöse Überzeugungen. Diesem Diktum hat sich das Christentum zu beugen - und das Gleiche darf und muss man auch vom Islam verlangen, ganz gleich, wie heftig er sich dagegen sträubt. Religionsfreiheit bedeutet nicht, dass Individuen oder Gemeinschaften unter Berufung auf ihre Gesinnung jedwedes Recht auf freie Entfaltung für sich beanspruchen dürfen. Wenn Muslime, wie neuerdings in Deutschland geschehen, eigene Gebetsräume in öffentlichen Schulen fordern, überschreiten sie eine Demarkationslinie. Und dieses Beispiel ist noch harmlos. In einigen europäischen Grossstädten gibt es bereits Scharia-Gerichte, die staatlicherseits befugt sind, Strafen zu verhängen und Verhaftungen anzuordnen. Solche Sonderkonditionen unterhöhlen die westliche Zivilgesellschaft systematisch. Sie zerstören längerfristig alles, was die Aufklärer und Humanisten über Jahrhunderte hinweg erkämpft haben. Hier sollte man die Notbremse ziehen. Doch steht zu befürchten, dass die Abwehrkräfte des Säkularismus erlahmen. Durch den Druck strenggläubiger Imigranten und ihrer religiösen Interessensverbände ist eine Entwicklung in Gang gekommen, die fast nicht mehr aufzuhalten ist. Das säkulare Terrain verkommt zum Selbstbedienungsladen für religiöse Separatisten, und der Widerstand ist zwar vorhanden, fällt jedoch politisch nicht ins Gewicht. Das Problem ist, dass sich unsere Gesellschaft für derartige Missbräuche geradezu anbietet. Durch ihr naives Toleranzethos gerät sie zunehmend unter Druck, sie lässt sich erpressen und ausnehmen. Wehrt man sich gegen religiöse Forderungen, kommt reflexartig der Vorwurf der Diskriminierung. ("Islamophobie", "Missachtung von Religionsfreiheit") Diese Masche wird noch viel zu wenig durchschaut. Christliche und islamistische Fundamentalisten machen sich nur deshalb breit, weil wir ihnen die Chance dazu geben. Weil wir uns erpressbar machen aus Angst, wir könnten das Augenmass verlieren und die eigenen Grundwerte verletzen. Jeder Fernseh-Evangelist und salafistische Scharfmacher darf seinen religiösen Blödsinn straflos verbreiten, es herrscht Meinungsfreiheit, und Dummheit ist nun mal nicht strafbar. Davon profitieren religiöse Menschen ganz erheblich. Die Frage ist, ob und wie man sie daran hindern kann, das offene Meinungsforum, das ihnen genauso zur Verfügung steht wie jedem andern Mitbürger auch, für die planmässige Propagierung von Wahnideen zu missbrauchen. Die Frage ist überdies, wie man Demarkationslinien durchsetzt, um die religiöse Okkupation des öffentlichen Raums zu stoppen. Dass dies möglich ist, hat die Schweizer Anti-Minarett-Initiative bewiesen. Dennoch sollte man die Sache nicht auf die leichte Schulter nehmen. Wer sich vom Friedens- und Versöhnungsgesäusel der “Rechtgeleiteten” und “Barmherzigen” einlullen lässt, riskiert ein unsanftes Erwachen. Diese Leute werden nämlich ganz und gar ungemütlich, wenn man ihren Idealen und Weltbildern nicht den verlangten Respekt zollt. Wehe, es kratzt jemand am Heiligenschein! Dabei müsste ihnen doch eigentlich klar sein, dass sie in einer säkularen Gesellschaft nicht darum herumkommen, diesen oder jenen Kratzer hinzunehmen. Ihre Erwartung ist schlicht unrealistisch, um nicht zu sagen kindisch. Anstatt die Vorteile einer offenen Gesellschaft zu würdigen, drohen sie mit einer rechtlichen Zensurschere, die nicht nur stumpfsinnig, sondern auch stumpf ist. Das im Strafrecht verankerte Blasphemie-Verbot ändert nichts an der Tatsache, dass Religionskritik grundsätzlich erlaubt ist, und zwar auch dann, wenn sie eine ganze Religion aufs Übelste diskreditiert. Trotz erheblichem Widerstand von Seiten islamischer Staaten hat sich diese Ansicht teilweise auch bei der UNO durchgesetzt. Auf der Informationsplattform des Vereins Humanrights.ch wird in Bezug auf entsprechende UNO-Beschlüsse unmissverständlich klargestellt, dass niemand “wegen seiner Äusserungen über eine bestimmte Religion bestraft werden” kann, es sei denn, “es handle sich um eine ohnehin strafbare Verletzung religiöser Gefühle (Blasephemie-Verbote auf der Ebene des Strafrechts)...” Blasphemie-Verbote, so führt Humanrights.ch weiter aus, “fallen unter die Meinungsäusserungsfreiheit”. Klingt irgendwie verwirrend. Was gilt jetzt? Ganz offenkundig sitzt man hier in einem Boot, das sich mit Wasser füllt. Was nützt es, Religionen kritisieren zu dürfen, wenn man keine religiösen Gefühle verletzen darf? Ich darf also uneingeschränkt Kuchen essen, muss aber darauf achten, dass ich meine Diät einhalte. Da sich das Diffamierungsverbot in Religionsfragen als Unsinn erweist, wird es auf die strafrechtliche Ebene der “Meinungsäusserungsfreiheit” abgewälzt, was aber keine Lösung bringt, sondern lediglich zur Folge hat, dass ein Unsinn durch einen grösseren Unsinn ersetzt wird. De facto (wenn auch nicht de juris) gibt es für Ideen, Ideologien und religiöse Traditionen keine Immunität. Der von den Religionswächtern gerne zitierte Blasphemieartikel (im Schweizerischen Strafgesetzbuch Artikel 261) kollidiert auf gravierende Weise mit dem Recht auf Meinungs- und Kunstfreiheit und entlarvt sich immer wieder als Papiertiger, der in einer säkularen Gesetzgebung nichts zu suchen hat. Im Ernstfall kann der Blasphemieartikel keine einzige Form von Religionskritik unterbinden oder einschränken, vor allem nicht im Kunstbereich. Und selbstverständlich ist es nicht an den Gläubigen, zu definieren, wo eine Kritik aufhört und eine Verunglimpfung anfängt: dies ist Sache der Gerichte, und wer nicht gänzlich auf den Kopf gefallen ist, begreift sehr wohl, dass diese Grenze im Bereich der Religionskritik gar nicht existiert. Es gibt keine Masstäbe, mit denen man etwas so Schwammiges wie Blasphemie rechtlich definieren könnte, da fehlt jegliche Objektivität. So könnte es zum Beispiel für einen Druiden den Gipfel der Blasphemie darstellen, wenn jemand an einen Baum pinkelt. Die meisten andern Menschen werden das aber keineswegs als blasphemisch empfinden, höchstens als unappetitlich. Und so geht es ja auch bei Mohammed- und Papstkarikaturen: wieso sollte man auf die irrationalen Empfindlichkeiten von Muslimen und Katholiken Rücksicht nehmen? Wenn man das täte, müsste man sämtlichen Glaubensgemeinschaften und Sekten das Recht zugestehen, religionskritische Äusserungen zu reglementieren, und vor lauter Rücksichten müsste man dann wohl für immer den Mund halten: aber selbst damit könnte man noch jemanden beleidigen! Es könnte ja sein, dass es eine Sekte gibt, die Schweigen als Beleidigung auffasst. Das mag sich übertrieben anhören, ist aber gar nicht so weit von der Realität entfernt. Ansätze zu einem solchen Blödsinn gibt es zuhauf. Medienleute, die keine Gelegenheit auslassen, einen korrupten Politiker blosszustellen oder soziale Missstände anzuprangern, geben sich in Religionsfragen betont zurückhaltend, üben Selbstzensur, um ja niemandem auf die Zehen zu treten. Dabei ist überhaupt nicht einzusehen, warum man sich nicht das Recht herausnehmen sollte, über Mohammed (der keine friedliche Religion in die Welt gesetzt hat) oder den Papst (der mit Garantie nicht unfehlbar ist) zu lästern. Lästern ist eine gesundheitsförderliche Reaktion des geistigen Immunsystems. Was im säkularen Leben erlaubt ist, nämlich die Kritik an fragwürdigen Überzeugungen in Politik, Wirtschaft, Freizeitverhalten etc., sollte selbstverständlich auch im Bereich des Religiösen erlaubt sein, und es erübrigt sich, darauf hinzuweisen, dass es zwischen Kritik und Spott keinen definierbaren Unterschied gibt. Ob jemand, der kritisiert wird, die betreffende Kritik als herabwürdigend empfindet oder nicht, hängt einzig und allein von seiner subjektiven Empfindung ab. So gesehen kann jede Kritik als verunglimpfend empfunden werden, und das Argument, dass man Religionen wohl kritisieren darf, aber nicht verunglimpfen, hängt ziemlich in der Luft. Und überhaupt: worin liegt denn die Qualität einer Satire, wenn nicht darin, dass sie weh tut? Worin liegt denn die Qualität von Humor, wenn nicht darin, dass er die empfindlichen Stellen trifft? Die Grenze zwischen tatsächlich diskriminierendem Humor (Blondinen- und Österreicherwitze) und berechtigter Satire (Mohammed-Karikaturen) lässt sich unmöglich mit dem Millimetermass bestimmen. Im grossen und ganzen verrät ein Witz jedoch ziemlich deutlich, ob er nur deshalb witzig ist, weil er eine dümmliche Stereotypie bestätigt, oder ob er über die Stereotypie hinaus, die in jedem Witz enthalten ist, etwas Brisantes und Heikles blosslegt. Ob ein Witz Qualität hat und von seiner geistigen Stossrichtung her berechtigt ist oder nicht, verrät er selber, dazu braucht es kein moralisches Gutachten, schon gar nicht von Seiten derer, die sich durch den Witz behelligt fühlen. Witze führen ein Eigenleben, Humor lässt sich nicht reglementieren. Dass unsere Gesellschaft Humor zulässt, auch wenn er nicht reglementierbar ist und für kleinliche Hänseleien und dümmliche Diskriminierungen missbraucht werden kann, verstehe ich als Glücksfall, und deshalb bin ich auch bereit und willens, diese säkulare, demokratische und freiheitliche Gesellschaft, die mir kaum irgendwo den Mund verbietet, gegen Kräfte zu verteidigen, die unter dem Deckmäntelchen des Diskriminierungsschutzes und der Toleranz eine totalitäre Weltsicht vertreten. Würde unsere Gesellschaft von Muslimen oder Hardcore-Christen beherrscht, von jenen Leuten also, die ausschliesslich aus ihren eigenen schäbigen Interessen heraus für Diskriminierungsschutz und gegen religiöse Verunglimpfung eintreten, dann wäre das Ergebnis ziemlich niederschmetternd: von Diskriminierungsschutz, Religionsfreiheit und Toleranz findet sich in einer rein christlichen oder rein muslimischen Gesellschaftsordnung keine Spur. Würden wir zulassen, dass diese Leute Einfluss auf unsere Politik und Gesetzgebung nehmen, dann dürften wir bald nur noch auf Kommando lachen! Sämtliche Witzbücher würden zensuriert werden! Totales Duckmäusertum wäre angesagt. Auf eine solche Gesellschaft verzichte ich gerne, und ich verzichte auch gerne auf Anstand und Toleranz, wenn es darum geht, religiösen Ansprüchen einen Riegel vorzuschieben. Denn eines erscheint mir gewiss: eine allumfassende Toleranz schaufelt sich das eigene Grab. Das Problem sind also nicht nur die religiösen Fanatiker, sondern vor allem auch die Toleranzapostel, die an dem idealisierten Religionsbild festhalten, das man ihnen in der Sonntagsschule aufgetischt hat. So schlecht können doch Religionen gar nicht sein, behaupten sie. Frieden und Versöhnung - zentrale Werte jeder Religion - sind doch nichts Schlechtes. Ausserdem müssen wir die Gebräuche und Eigenheiten fremder Kulturen respektieren: zum Beispiel das Schamgefühl muslimischer Frauen, die sich als Kartoffelsäcke verkleiden, oder den Stolz muslimischer Männer, die bei der geringsten Mohammed-Beleidigung mit dem Dolch herumfuchteln. Das müssen wir doch verstehen, unsere Massstäbe sind doch nicht absolut. Ja, drücken wir doch beide Augen zu und konzentrieren wir uns auf die universale menschfreundliche Botschaft, die in allen Religionen enthalten ist: Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen. Wer ein bisschen tiefer in die Materie eindringt, merkt freilich sehr schnell, dass der Wolf Kreide gefressen hat. Wenn Religionen hin und wieder friedliebend und tolerant erscheinen, dann nur, weil sie durch den aufgeklärten Säkularismus dazu gezwungen werden. Weil ihre Vormachtsstellung gebrochen ist, können wir religiöses Gedankengut nach unsern eigenen Kriterien übernehmen oder verwerfen, können den romantischen Rahm abschöpfen und den spirituellen Zuckerguss anknabbern. Wer jedoch meint, das sei schon Religion, der täuscht sich. Was wir da lieben und bewundern, ist lediglich die Art von Religion, die wir uns gefügig gemacht haben. In der konsequenten Umsetzung ist keine einzige Religion - und schon gar nicht eine monotheistische Religion - in der Lage, die säkulare Toleranz zu teilen. Noch schlimmer ist es, wenn eine Religion den Anspruch erhebt, für alle Menschen gültig zu sein. Was zum Beispiel auf das Judentum nicht zutrifft: eine sympathische Eigenschaft. Zum Judentum kann man nicht bekehrt werden. Lese ich aber die Bibel oder den Koran - die normativen Schriften der zwei grössten Weltreligionen - so befällt mich das nackte Grausen, und ich danke Gott, dass ich in einer säkularen Gesellschaft leben darf. Ich habe also allen Grund, diese Gesellschaft und ihre freiheitlichen Werte zu verteidigen. Religionsfreiheit, ein selbstverständlicher, wenn auch häufig falsch verstandener Teil dieser Werte, darf nicht dazu missbraucht werden, Religionskritik zu unterdrücken oder mit Diskriminierung gleichzusetzen. Ideen, Symbolfiguren, Meinungen und Praktiken dürfen und müssen kritisierbar sein, egal wie heilig sie gewissen Menschen sind. Es ist ja wohl klar, dass diese Kritik nicht auf Menschen zielt. Wer Menschen nicht persönlich angreift, sondern lediglich auf ihre Überzeugungen zielt, braucht sich den Vorwurf der Persönlichkeitsverletzung oder diskriminierenden Äusserung keineswegs gefallen zu lassen. Dieser Vorwurf ist weiter nichts als eine faule Masche und dummdreiste Verdrehung. Ideen, Symbolfiguren, Meinungen und Praktiken können nicht beleidigt werden. Sie können lediglich kritisiert werden - und damit hat es sich. Der Blasphemieartikel ist ein sinnloses Überbleibsel vergangener Zeiten, eine Art Blinddarm oder Steissbein. Er gehört abgeschafft, weil es schon von der elementarsten Logik her unmöglich ist, ihn durchzusetzen. In der rechtlichen Praxis gibt es keine Handhabe gegen Blasphemie. Das heisst: man kann zwar Strafen und Restriktionen durchsetzen, aber dank Internet verbreitet sich sowieso alles, und jeder Blasphemie-Vorwurf ist letztlich ein Bumerang. Der Blasphemiker ist seinen Möchtegern-Zensoren immer eine Nasenlänge voraus: auch moralisch. Schliesslich leben wir nicht in einer Theokratie, und das Recht auf Meinungsfreiheit ist keine Einbahnstrasse. Religiöse Fanatiker malträtieren uns am Laufmeter mit ihrem Blödsinn, betreiben grossflächig Propaganda, und wir dürfen nicht zurückschlagen? So geht es natürlich nicht. Als Reaktion auf das dubiose, aber eigentlich gar nicht so dumme Mohammed-Video sind verschiedene Religionsvertreter auf die gloriose Idee gekommen, man könnte den Blasphemieartikel zu Hilfe nehmen, um solche Provokationen inskünftig zu ahnden. Ein wahres Leuchtfeuer auf dem fragwürdigen Weg in eine neue Zensurpolitik bilden auch die unbedarften Reaktionen gewisser Katholiken auf die “Papst-Verunglimpfung” der Satire-Zeitschrift “Titanic”: plötzlich soll der Staat wieder die Zensurschere hervornehmen und mit dem arthritischen Gestus eines von Wilhelm Busch gezeichneten Oberschullehrers “Schnippschnapp” machen, um die überzogenen Empfindlichkeiten eines mittelalterlichen Trachtenvereins zu schützen. Was soll man dazu sagen? Sancta Simplicitas! Religiös begründete Zensur ist im öffentlichen Bewusstsein - zum Glück - eine schäbige Sache, eine Lachnummer. Wer mit so etwas durchkommen will, hat einen schweren Stand. Weil ihr Argumentarium so dürftig ist, müssen die Religionsverteidiger zu ausgebufften Mitteln greifen, müssen propagandistisch auf der Höhe sein. Um nicht als Inquisitoren dazustehen, legen sie grössten Wert darauf, sich als die "Guten" zu inszenieren, als diejenigen, die systematisch zu bemitleidenswerten "Opfern" gemacht werden. Besonders deutlich ist diese Methode in der Islam-Debatte. Leute, die mit dem Islam ein Problem haben, werden gerne als diskriminierungsfreudige Rassisten hingestellt. Das Verdikt der "Islamophobie" (das übrigens Ayatollah Khomeini erfunden hat, um westliche Islamkritiker mundtot zu machen) geht jedoch komplett an der Sache vorbei. Mit dem Rassismus-Vorwurf werden ulkigerweise nur Islam-Kritiker konfrontiert, während die Kritiker des Christentums natürlich keine Rassisten sind, im Gegenteil: die gelten als fortschrittlich und aufgeschlossen. Beliebt ist auch der Vorwurf der "Persönlichkeitsverletzung". In der vorliegenden Debatte ist dieser Vorwurf jedoch nur dann gerechtfertigt, wenn eine nicht-öffentliche Person in ehrenrühriger Weise angegriffen wird. Wenn man also die Privatperson Ratzinger als “Inkontinenzler” darstellt, handelt es sich selbstredend um eine unstatthafte Persönlichkeitsverletzung. Wenn man aber zivilrechtlich belangt wird, weil man den Papst als "Inkontinenzler" darstellt, sieht der Fall schon ganz anders aus: dann wird die Drohung mit Bussgeldern und einstweiligen Verfügungen zur Farce. Weil der Papst per definitionem keine Privatperson ist, sondern der inaugurierte Stellvertreter Gottes (oder der inaugurierte Stellvertreter des Sohnes Gottes, wie man korrekterweise sagen müsste), steht er selbstverständlich in der öffentlichen Kritik und muss es sich gefallen lassen, dass ihn - um das Beispiel, auf das ich hier anspiele, zu benennen - die böse "Titanic" aufs Korn nimmt. Die Straf- und Zensurkampagne, die der Vatikan losgetreten hat, um die Bildmacher der "Titanic" in die Schranken zu weisen, verleiht der satirischen Respektlosigkeit sozusagen eine höhere Weihe. Die Provokation fordert genau das Missverständnis heraus, das sie inexplizit thematisiert: abgehoben wird nicht auf die Person, sondern auf den absolutistischen Herrscher einer fehlbaren Institution, die durch das sogenannte "Vatileaks" unrühmlich Schlagzeilen gemacht hat. Hier geht es um die Instrumentalisierung einer religiöse Symbolfigur zu profanen Zwecken, nicht um die Privatperson Ratzinger. In diesem Sinne ist es keineswegs daneben, über Religionen, Konfessionen und Ideologien herzuziehen und ihre Aussagen und Symbolfiguren lächerlich zu machen. Niemand kann das verhindern, ohne die Meinungs- und Redefreiheit auf gravierende Weise zu verletzen. Selbstverständlich ist diese Freiheit nicht, und wer sie nur verteidigt, hat sie schon verloren. Es ist also höchste Zeit, in die Offensive zu gehen. Im Umgang mit dem Christentum sind wir heutzutage freilich recht mutig, und dieser Mut ist auch billig zu haben. Um den Papst als alten Trottel darzustellen, braucht es keinen besonders grossen Mut. Das ständige Katholiken-Bashing europäischer Medien ist einfach nur feige und bequem. Da hat man sich einen leichten Gegner ausgesucht. Einen harmlosen Gegner. Ich persönlich habe mich selten je von einer Nonne bedroht gefühlt. Was hingegen Mut und echten Kampfgeist erfordert, ist eine schonungslose Kritik am Islam, die sich einer doppelten Gegnerschaft gegenübersieht: einerseits dem festgefahrenen Konsens der Political Correctness, einer Allianz von hirnlosen Multikulti-Schönrednern, und andererseits einem mörderischen, quasi-faschistischen Islam, der noch jeden namhaften Islamkritiker mit Todesdrohungen überhäuft hat. (Wobei in vielen Fällen die Drohungen wahrgemacht worden sind). Die Auseinandersetzung mit dem Islam wird somit zum Härtetest für einen freien Umgang mit Ideen und für die berechtigte Forderung nach religiöser Selbstbescheidung und Selbstkritik. In diesem Konflikt wäre es gut, wenn der Klügere nicht nachgeben würde.

 

2012